Hereditary – Das Vermächtnis (Filmkritik)

Annies (Toni Collette) Mutter ist verstorben. Die Familie trauert mehr oder weniger. Ehemann Steve (Gabriel Byrne) ist eher distanziert. Tochter Charlie (Milly Shapiro) benimmt sich seltsam. Sohn Peter (Alex Wolff) berührt es eher nicht. Toni selbst versucht sich auf ihre Arbeit als Modellbauerin (Miniaturhäuser) zu konzentrieren.

Eines Abends glaubt sie ihre tote Mutter vor sich stehen zu sehen, tut die Sache jedoch als Hirngespinst ab. Die merkwürdigen Vorkommnisse enden damit jedoch nicht. Nur hat Toni nicht die Zeit sich darum zu kümmern, denn das Leben hält den nächsten Schicksalsschlag bereit.

Als dann Toni durch eine Selbsthilfegruppe die nette Joan (Ann Dowd) kennenlernt, scheint sich das Blatt zu wenden …

Tatsächlich könnte man die Logik und das Drehbuch von „Hereditary“ sehr leicht zerpflücken. Der Film ist – wie heute nahezu jeder Film – sehr leicht anzugreifen und es gibt vermutlich viele Argumente, die man mit Logik begründet anführen kann, die ihn als schlechten Film erscheinen lassen.

Nachdem das gesagt ist: Ich finde ihn sehr gut gelungen und sehr intensiv. Bis auf das Ende, aber dazu später mehr. Die Handlung inklusive Auflösung ist alles andere als neu und mir ist sofort ein Film eingefallen, der „Hereditary“ sehr, sehr ähnlich ist. Welcher das ist kann ich aus Spoilergründen nicht verraten.

Fangen wir mal bei der Regie an: Die legt wert auf lange Einstellungen und Nahaufnahmen der Gesichter der SchauspielerInnen. Das fällt sofort auf. Es gibt ein paar wirklich, wirklich lange Nahaufnahmen von Menschen, die gerade Schlimmes erlebt (oder gemacht) haben und die Kamera hält auf ihr Leid. Das klingt jetzt voyeuristisch, es fühlt sich im Film aber nicht so an. Im Gegenteil. Die langen Aufnahmen lassen das eben Gesehene einwirken und die Mimik der Charaktere ist umso eindringlicher. Und glaubt mir – da passiert mindestens eine Sache, die euch wirklich, wirklich im Magen liegen wird.

Es geht also viel um die SchauspielerInnen und die sind großartig. Toni Collette („Velvet Buzzsaw„, „Krampus„, „Jesus Henry Christ„) ist eine Naturgewalt und es gibt ein paar Szenen in denen man sich aufgrund ihrer Mimik fragt, ob sie jetzt vom Teufel besessen ist oder nicht. Von den Dingen, die sie sagt, will ich jetzt gar nicht mal anfangen. Die Frau überzeugt auf ganzer Linie – egal ob Trauer, Angst, Wut, Verzweiflung, sie spielt das wirklich unglaublich gut. Ihr ebenbürtig, wenn auch vom Drehbuch her nicht mit dieser Bandbreite an Emotionen ausgestattet, spielt Alex Wolff („Jumanji: Welcome To The Jungle„), der ein paar sehr intime, extreme Momente hat und ich habe ihm jede Zuckung in den Augen geglaubt. Milly Shapiro ist einfach unheimlich – von Anfang an. Und bleibt es die ganze Zeit über. Das Mädchen muss nur dastehen und gucken und man bekommt ein Gefühl des Unwohlseins in der Magengegend. Bleibt noch Gabriel Byrne („Die üblichen Verdächtigen„, „Ghost Ship„), der leider völlig verschenkt wird, da sein Charakter im Film eigentlich nur eine Randnotiz ist und bleibt (was man dem Drehbuch vorwerfen kann, meiner Ansicht nach jedoch stimmig ist, da es die Geschichte von Annie ist, die hier erzählt wird). Auch Ann Dowd („Garden State“) spielt – je nach Situation – ihre Rolle wirklich perfekt. Auch ihr habe ich jede Emotion geglaubt.

Ist „Hereditary“ nun ein guter Film? Das hängt von euren Ansprüchen und Erwartungen ab. Erwartet ihr von einem Film eine tiefere Aussage? Dann wohl nicht (das hier ist nicht „The Babadook„). Wollt ihr einen Horrorfilm sehen? Dann könnte euch zu wenig Horror vorkommen. Wollt ihr ein Familiendrama sehen, welches sich auf den Umgang mit Schuld und Trauer fokussiert? Dann wird euch der Horror-Anteil am Film stören.

Tatsächlich ist das mein Hauptproblem mit dem Film. Ich mochte ihn. Die Spannung war konstant hoch, die langen Aufnahmen gepaart mit den großartigen schauspielerischen Leistungen und dem emotional wirklich aufwühlenden Drehbuch haben mich einfach gepackt. Spätestens nach den ersten 40 Minuten hätte ich nicht mehr aufhören können den Film anzusehen, weil ich einfach wissen wollte, was da jetzt noch alles passieren kann/wird.

Zugegeben – je mehr der Horroranteil zunimmt, desto stärker lässt der Film meines Erachtens nach und die besten und spannendsten Momente kamen für mich durch Konfrontationen zwischen den Familienmitgliedern zustande, die extrem mitreissend sind, aber für meinen Geschmack leider zu selten vorkommen (nochmals: Gabriel Byrne – verschenkt). Entlädt sich dann die unausgesprochene Schuldzuweisung, dann kracht es dafür (emotional) ordentlich.

Das Ende ist dann die logische Konsequenz aus der Tatsache, dass es sich um einen Horrorfilm handelt. Ich bin noch immer hin und hergerissen, ob das jetzt lächerlich war (wahrscheinlich) oder einfach schlecht (vermutlich). Klar – das ist ein Horrorfilm. Trotzdem haben mich die Interaktionen zwischen den Figuren weit mehr interessiert als das Pseudo-Horror-Dämonen-Blabla. Was ich Ari Aster (der Drehbuch und Regie verantwortet und mit „Hereditary“ seinen ersten(!) Langspielfilm gedreht hat) hoch anrechnen muss: Die Symbiose ist dennoch sehr gut gelungen. Der eine Teil des Films (Familiendrama) kommt nicht ohne den anderen (Horror) aus. Gratuliere.

Wer mir jetzt vorhalten will, ich würde zu viel auf Auflösungen wert legen, der/die soll das tun. Ich sehe es nun mal so, dass ein Film mich mit der zum Film passenden Stimmung in die Realität entlassen muss. Wie eine perfekte Auflösung aussehen kann, zeigt für mich „The Babadook„. Da werden beide Themen (Drama, Horror) perfekt aufgelöst. Das ist für mich der Beweis, dass es ja doch geht.

Jammern auf hohem Niveau, ich weiß. Mittlerweile kann ich ja schon damit umgehen, dass manche Filme das Versprechen ihrer Spannung nicht zufrieden auflösen können.

Nachdem das gesagt ist: Ich fand „Hereditary“ wirklich spannend, emotional berührend und großartig gemacht. Das Ende ist Geschmacksache (meins war es nicht). Allerdings weiß ich nicht, wem ich diesen Film empfehlen würde, da – wie oben erwähnt – jede Zielgruppe wohl etwas findet, was für sie überhaupt nicht passt.

„Hereditary“ bekommt von mir 8,5 von 10 möglichen, gegen Ende leider stark nachlassende, aber bis dahin ziemlich intensive, Punkte.


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