Last Night In Soho (Filmkritik)

Eloise (Thomasin McKenzie) lebt am Land und will Modedesignerin werden. Und sie wird unerwarteterweise in der Modeschule in London aufgenommen. Also zieht sie in die große Stadt, stellt aber rasch fest, dass die Studentenbude wo sie untergekommen ist, nicht zu ihr passt. Konsequenz: Sie sucht sich ein eigenes Zimmer. Und sie findet eines. Die Vermieterin Ms. Collins (Diana Rigg) ist nett, hat aber ein paar Regeln, á la keine Jungs auf das Zimmer, kein Besuch nach 20 Uhr und so weiter. Aber das passt für Eloise gut, denn sie will sich ohnehin auf ihr Studium und ihre Karriere konzentrieren.

Aber dann passiert es. Also Eloise sich zu Bett begibt und zu träumen beginnt, wacht sie in dem Zimmer auf, in dem sie eingeschlafen ist, nur in den 60igern und sie steckt im Körper von Sandie (Anya Taylor-Joy), die sich in den Sinn gesetzt hat eine berühmte Sängerin und Tänzerin zu werden. Und dann wacht sie wirklich auf. Und hat einen Knutschfleck am Hals, den eigentlich Sandie haben müsste.

Aber sie ist auch inspiriert und beginnt Kleider im Stile der 60iger zu entwerfen und nähert sich auch optisch an Sandie an. Alles läuft gut, zumindest bis ihre „Träume“ in eine dunklere Richtung gehen und Eloise langsam zu verstehen beginnt, dass Sandies Leben vielleicht nicht gut endet. Und vor allem: Gestalten und Visionen aus diesen „Träumen“ tauchen nun auch in ihrem realen Leben auf. Und das war noch nie eine gute Sache …

Edgar Wright. Ich denke, dass ist der letzte Regisseur von dem ich behaupten kann, dass ich noch nie einen schlechten Film von ihm gesehen habe. Ein paar waren brillant, ein paar waren richtig gut, aber es war keiner mittelmäßig. Egal ob wir jetzt von den Kooperationen mit Simon Pegg („Shaun Of The Dead„, „Hot Fuzz“ oder „World’s End„) oder von seinen unabhängigen Filmen („Baby Driver„, „Scott Pilgrim vs The World„) reden.

Das sind alles Filme, die ich mehr als einmal gesehen habe und die ich alle gut fand. Bei „Baby Driver“ war ich zögerlich, aber dann hat mein „Hey, wir reden von Edgar Wright!“-Hirn gewonnen und ja, er war verdammt gut. Nicht einer der besten Filme von Wright, aber das liegt daran, dass ich Filme mit Autos und Verfolgungsjagden nicht so gern habe. Für das war er ist, ist er richtig gut geworden.

Und dann gibt es „Last Night In Soho“ und ich muss sagen, dass ich das nicht von Wright erwartet hatte, denn bei all den anderen Filmen von Wright war immer auch der Humor ein wichtiger Teil und bei allen kameratechnischen oder iszenatorisch tollen Momenten war es trotzdem meist der Irrwitz der Szenen (ich denke nur an den absolut grandiosen „Scott Pilgrim“, der meiner Ansicht nach mit dem Ausgangsmaterial den Boden aufwischt) auf den ich fokussiert war. Ich habe oft wirklich vergessen, wie verdammt gut Wright als Regisseur und Drehuchautor einfach ist.

Das hat mir „Last Night In Soho“ mit Nachdruck wieder bewusst gemacht. Der Mann weiß einfach was er tut und „Last Night In Soho“ ist ein Stück Film, welches ich gerne auf der großen Leinwand gesehen hätte. Visuell atemberaubend in seiner Farbgebung, der Kamera und den Szenen, in denen zB Eloise und Sandie mit Jack (mehr zu verraten wäre ein Spoiler) tanzen. Grandios. Es gibt einfach so viele Szenen, die optisch ein Traum sind und kombiniert mit der Musik (die 60iger leben, Leute!) ist das Gesamtpaket einfach eine Wucht.

Dazu kommt, dass die Schauspieler:innen perfekt gecastet sind. Ein großer Fokus wurde im Vorfeld ja auf „Anya Taylor-Joy“ gelegt, die in „The VVitch“ oder „Split“ oder „Marrowbone“ oder in „The New Mutants“ eine tolle Leistung abgeliefert hat und für „Der Damen Gambit“ gefeiert wurde. Und ja, sie ist wirklich gut hier. Aber machen wir uns nichts vor. „Last Night In Soho“ ist in meinen Augen eine Thomasin McKenzie-Show. Die gute Dame kommt quasi aus dem Nichts (zumindest für mich) und ich muss sagen, dass ich sie nach diesem Film hier im Auge behalten werden. Die Gute ist einfach fantastisch. Ihre Wandlung vom selbstbewussten Mauerblümchen hin zu einer charismatischen Frau ist großartig. Und alle Emotionen sind absolut glaubwürdig. Die Frau ist eine Naturgewalt.

Kombiniert man diese schauspielerischen Leistungen der beiden Hauptdarstellerinnen mit den ebenso perfekt besetzten Nebenrollen (Terence Stamp! Diana Rigg! Matt Smith!) und den ebenso tolle Neuentdeckungen (Michael Ajao als John), dann passt so gut wie alles zusammen. Und ja, kann sein, dass ich das hier immer noch in den Nachwirkungen des Bilderrausches schreibe, aber spricht das nicht schon allein für sich? Und die schauspielerischen Leistungen, kombiniert mit der grandiosen Optik und der fabelhaften Musikauswahl (dass Wright dafür ein Händchen hat ist ja kein Geheimnis) ist schon mal eine super Sache.

Was mich dann wirklich freut, ist, dass auch das Drehbuch alle Register zieht. Der Film fängt an als lockere, flockige und fröhliche „Mädel vom Land will in der großen Stadt durchstarten“-Story an. Auch die Geschichte von Sandie beginnt wie ein Märchen, Traumprinz inklusive. Aber nach und nach wird alles düsterer, dunkler und gefährlicher. Und ehe man sich versieht steckt man gemeinsam mit Eloise in einem Albtraum, der aus dem Nichts gekommen zu sein scheint, obwohl man gemeinsam in den metaphorischen Keller hinabgestiegen ist. Man hat es nur nicht bemerkt, weil es Schritt für Schritt in kleinen Dosen bergab geht. Und am Ende sitzt man da und zumindest ich war ein bisschen sprachlos.

Grandioser Film. Ich habe ja wirklich überlegt, ob ich ihn mir ansehe, weil das Thema mich irgendwie gar nicht angesprochen hat, aber wie oben erwähnt, hat mein „Es ist Edgar Wright!“-Hirn mich überredet. Zum Glück. Ich war schon lange nicht mehr so fasziniert von einer Geschichte und es ist schon eine Weile her, dass die Kombination aus Regie, Kamera, Farbgebung, Musik und schauspielerischen Leistungen mich so in den Bann gezogen hat.

Und ja, sogar das Ende hat für mich quasi perfekt gepasst. Und ja, es gibt einen Twist.

Als nächstes hat Wright ein Remake von „The Running Man“ geplant (ja, der mit Schwarzenegger) und wenn ich daran denke, was der gute Mann mit „Scott Pilgrim“ gemacht hat und wie geniale er hier die Regie geführt hat, dann darf man gespannt sein. Für mich ist „Last Night In Soho“ der Film mit dem Wright gezeigt hat, dass er nicht nur Komödie oder Action kann, sondern einfach ein großartiger Filmemacher ist. Egal welches Genre. Man muss ihn nur machen lassen.

„Last Night In Soho“ bekommt von mir 9,5 von 10 möglichen, alle Register auf allen Ebenen ziehende, Punkte.


2 thoughts on “Last Night In Soho (Filmkritik)

  1. Was Thomasin McKenzie betrifft: kenne sie aus JoJo Rabbit, da fand ich sie großartig und es spricht für die „Qualität“ von Old, dass du sie darin scheinbar völlig übersehen hast.

    Was Regisseure betrifft, da gibt es noch mehr, die nie einen schlechten Film gemacht haben (völlig objektiv versteht sich).

  2. Nein, ich habe sie in „Old“ nicht übersehen, aber tatsächlich machen schauspielerische Fähigkeiten in „Old“ keinen großen Unterschied. Ich bin nur froh, dass ihr die Mitwirkung in dem Streifen die Karriere nicht versaut hat.

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