Jessie Burlingame (Carla Gugino) und ihr Ehemann Gerald (Bruce Greenwood) fahren gemeinsam zu einem abgelegenen Haus am See, um ihre Ehe zu retten. Das wollen sie – den Wünschen von Gerald entsprechend – so schaffen, indem sie ihr Liebesleben mit ausgefallenen Spielen etwas ankurbeln. Kurze Zeit später liegt Jessie auf dem Bett, an beiden Händen mit Handschellen ans Bett gefesselt.
Das nicht gerade liebevolle Spiel von Gerald wird ihr jedoch schon bald zu bunt und sie verlangt, dass er sofort damit aufhört und sie wieder freilässt. Beim darauf folgenden Streitgespräch bekommt Gerald plötzlich einen Herzinfarkt und bleibt leblos auf der noch immer angeketteten Jessie liegen. Plötzlich ist sie alleine, ohne Hilfe in der Nähe oder die Möglichkeit sich selbst zu befreien…
Es ist ein gutes Jahr für Stephen King bzw. seine Fans, zumindest was die Verfilmungen seiner Geschichten betrifft. Daher ist es auch völlig egal, dass The Dark Tower höchstens mittelmäßig von Fans und Kritikern angenommen wurde, dank ES, der ja gerade gefeiert wird und Rekorde bricht, ist King gerade in aller Munde (zumindest in denen der Horror-Freunde). Wer diesen obligatorischen Kinobesuch also bereits hinter sich hat, der wird nun auch „im Couchmodus“ in Form von Netflix nicht enttäuscht.
Regisseur Mike Flanagan, nach seinen Werken Absentia, Oculus, Hush, Before I Wake und Ouija: Origin of Evil auch ganz objektiv gesehen sicherlich nicht die schlechteste Wahl für diese Aufgabe, hat sich hier King´s gleichnamigen Roman aus dem Jahr 1992 geschnappt, der längere Zeit in Fan-Kreisen unter die Kategorie „unverfilmbar“ viel. Mit Hilfe seines eigenen Drehbuches ist Flanagan jedoch das Kunststück gelungen. Um darüber zu schreiben brauche ich in diesem Fall zahlreiche SPOILER, da ich sonst zu sehr um den heißen Brei herum schreiben müsste. Also erst nach dem Filmgenuss lesen, ihr seid gewarnt.
Was mir schon nach wenigen Minuten klar wurde, nachdem die Vorgeschichte rund um das Setting auf dem Bett abgeschlossen war: dies ist ein Film, auf dem man sich einlassen muss, der hinein saugt ins Geschehen. Erwartet man Reizüberflutungen oder Action, dann wird man wohl zur „oh ist das langweilig, eine Frau ans Bett gefesselt, sonst passiert gar nix“ Fraktion. Das wäre ungemein schade, denn diesen Menschen entgeht einiges, sie sind einfach nicht das Zielpublikum, wer sich jedoch vorab kurz informiert hat, der kann eigentlich nicht falsche Erwartungen haben.
Es gibt für mich diesen Moment, da hat es „Klick“ gemacht. Ich bin drinnen, die Handlung hat mich gefangen, nun gibt es kein Zurück mehr. Ich glaube das ist kurz nachdem der Hund kommt passiert, um die Leiche ihres Mannes anzuknabbern und dann Jessie´s Version ihres Mannes, in ihrem Geist ein Zwiegespräch anfängt mit ihr. Plus die zweite, kämpferische Version von Jessie, die auch einiges zu sagen hat. Wie die beiden „Manifestationen“ aus Jessie´s Geist sich selbst erklären und vor allem sämtliche Dialoge, sind einfach nur großartig und das gleich auf mehreren Ebenen.
Erstens ist es spannend zu sehen, wie sehr sich der Gerald in ihrem Kopf, von dem echten unterscheidet. Zweitens erfährt man immer wieder kleine Dinge aus ihrer Vergangenheit. Und drittens kommt Jessie durch das Reden immer wieder auf Ideen, wie sie ihr Leben verlängern könnte bzw. verliert sie den Willen nicht, weiter zu kämpfen. Als Zuseher glaubt man klar trennen zu können, zwischen Sachen die echt sind und denen, die nur Jessie selbst sehen kann. Doch da wäre ja auch noch der „Moonlight Man“.
Viele Fans hassen ja, dass er real ist und finden der ganze Roman sei dadurch seiner Kraft beraubt worden. Ich behaupte aber, genau das Gegenteil ist der Fall. Für Jessie ist es essentiell, dass er wirklich existiert. Ohne ihn, wäre ihre Entwicklung vom Opfer, die Art Person die immer wegsieht, verheimlicht oder Dinge schön redet hin zur starken Dame, die über ihr Trauma spricht und es so endlich bewältigen kann, nie vollständig vollzogen worden. Das Ende ist unglaublich kraftvoll, mit dem Satz ihres Vaters den sie wiederholt und dem anschließenden Gang ins Licht, weg von der Sonnenfinsternis ihrer Vergangenheit.
Daraus entsteht dann auch die wahre Spannung des Filmes. Ich habe nicht mitgefiebert, ob Jessie überleben wird. Es geht nicht darum, ob sie ihre metallenen Handschellen lösen kann. Es geht darum, ob sie die imaginären Handschellen des Schweigens abstreift, die ihr ihr Vater auf so perfide Weise vor vielen Jahren übergestreift hat. Danke daher an Flanagan, dass er genau diesen kontroversen Storypunkt nicht geändert hat, denn so bekommen im Moonlight Man die Grausamkeiten beider Männer, die Jessie in irgendeiner Form missbraucht haben, ein hässliches Gesicht.
Das alles würde natürlich nicht funktionieren, würde es von einer nicht überzeugend spielenden Darstellerin vermittelt werden. Ich habe Carla Gugino (Sucker Punch) ja schon in einigen Filmen gesehen, doch so gut wie hier, habe ich sie noch nie gesehen bzw. um ihrem Talent gerecht zu werden: sie musste noch nie so gut sein. Egal ob sie nun ängstlich, überfordert, verzweifelt, kämpferisch, völlig erschöpft oder dem Wahnsinn nahe ihre Tortur durchlebt, ich habe ihr jede Sekunde geglaubt. Mit Bruce Greenwood (Spectral) hat sie ein ebenbürtiges Gegenüber an ihrer Seite und ich musste mehrere Male grinsen, mit welcher Souveränität er seine Sprüche von sich gibt.
Der einzige Part, der mir persönlich weniger gefallen hat, ist die übertriebene Art, wie Jessie ihre Haut auf der Hand „abstreift“, damit sie sich befreien kann. Symbolisch und von der Story her verstehe ich es und es wird von King auch einigermaßen grausam im Roman beschrieben, doch finde ich diesen Moment leider etwas Over the Top. Ansonsten aber ein großartiger Film für Freunde psychologischen Horrors, mit richtig tollen Schauspielern, spannenden optischen Einfällen, zahlreichen Metaphern und der wieder mal bewusster werdenden Gewissheit, dass das wahre Grauen nicht übernatürlichen Ursprungs ist.
„Gerald’s Game“ bekommt von mir 8,5/10 sich den eigenen Dämonen nach Jahren der Flucht, endlich erfolgreich stellende Empfehlungspunkte.
Am Ende vertuscht sie leider alles was mit dem Vorfall zu tun hatte, macht also den gleichen Fehler wie ihr Leben lang zuvor. Hier ist der Schluss nicht stimmig.