This Changes Everything – Das ändert alles (Filmkritik)

Stell dir vor, du lebst in einer Welt voll von endlichen Ressourcen. Stell dir vor, in dieser Welt würde es Menschen geben, die diese Ressourchen ausbeuten und sich nicht darum kümmern, irgendjemand die Lebensgrundlage zu rauben. Dann stell dir noch vor, diese Menschen würden das alles tun, um ein paar Zeilen Code zu bekommen.

Der Code befindet sich in Transaktionen. Diese werden in Börsen oder Banken gemacht. Und der Sinn dahinter ist, immer mehr einer imaginären Sache namens „Geld“ zu bekommen. Weil Geld ja alles rechtfertigt.

Dann stell dir noch vor, es gibt Menschen, die sich dagegen wehren von ihrem eigenen Land vertrieben zu werden und der Staat in welchem sie leben, lässt sie durch die Polizei verjagen, um einem anonymen gesichtslosen Konzern zu erlauben ganze Wälder abzuholzen und Trinkwasser zu vergiften.

Und stell dir vor: Du lebst in genau dieser Welt.

Naomi Klein ist vielleicht nicht vielen ein Begriff. Ich kannte sie hauptsächlich weil ich vor ein paar Jahren das Buch „Die Schock-Strategie“ von ihr gelesen habe und es war das mit Abstand deprimierndste Sachbuch, welches ich je in die Finger bekommen habe. Klein schafft es zwar auf den letzten Seiten des Wälzers in eine Richtung zu gehen, die zumindest ein bisschen Optimismus weckt und die Hoffnung auf die Rettung der Welt zulässt, aber man merkt schon sehr stark, dass im Regelfall die mit dem Geld gewinnen, weil sie sich einfach Gesetze kaufen oder die Anwälte bezahlen um existierende Gesetze so auszunutzen, dass sich eigentlich alles irgendwie legal machen lässt. Moral? Kennt man nicht mal mehr vom Hörensagen. Gewinn und Wachstum. Alles andere ist egal.

Wobei die Ironie nicht verloren gehen darf, denn Wachstum ist ja ein Wort, welches eigentlich aus der Natur kommt. Und – werte Leserinnen und Leser – seid ehrlich: Euer erste Gedanke beim Wort „Wachstum“ war „Wirtschaftswachstum“, oder? Ich wette, ihr habt an keinen Baum oder Gras oder Büsche gedacht. Sagt ja auch schon was aus, nicht wahr?

Jedenfalls hat die gute Fr. Klein noch ein weiteres Buch geschrieben, welches im Original auf den Titel „This Changes Everything“ hört und im Deutschen mit „Die Entscheidung: Kapitalismus oder Klima“ übersetzt wurde. Trifft es nicht zu 100%, aber zumindest ist der Inhalt ziemlich klar vermittelt. Und Fr. Klein ist jemand, die gut und ausführlich recherchiert. Im Falle von „This Changes Everything“ ist es so, dass parallel zum Buch auch eine Dokumentation produziert wurde.

Und auch diese Dokumentation zeigt im Grunde nur, wie dämlich „wir“ (so als Menschheit in Summe) sind. Aber es wird auf eine sympathische Art gezeigt. Ich nehme nur mal den Anfang des Films (der auch im Buch super beschrieben ist). Es zeigt ein Treffen von Wissenschaftlern, die darüber diskutieren, wie man dem Klimawandel Herr werden kann. Und eine (durchaus populäre Idee) ist es, ein Gift in die Atomsphäre zu sprühen, welches das CO2 bindet und somit die Erwärmung verhindern kann. Super. Problem gelöst. Nein, leider nicht, denn dieses „Gift“ müsste man immer wieder in die Atmospähre sprühen, denn wenn man einmal damit angefangen hat, dann darf man nicht mehr aufhören und wenn man aufhört, dann bricht das System zusammen und holt die Erwärmung, die aufgehalten wurde, quasi im Zeitraffer nach. Und – fast vergessen – ein weiterer Nebeneffekt wäre, dass man den Himmel verdunkelt. Permanent.

Matrix, irgendwer?

Und wir reden hier von einem Sci-Fi-Film, sondern von einer Dokumentation. Und diese Herren meinen das durchaus ernst. Die diskutieren das völlig sachlich und absolut seriös. Wahnsinn, oder? Wir vergiften die Atmosphäre und ein Lösungsvorschlag lautet: „He! Wir könnten doch ein anderes ‚Gift‘ nehmen und das als Gegengift einsetzen? Klar, wäre der Himmel dann dunkel und wir wissen auch nicht fix, ob es funktioniert und wenn wir es anfangen haben, dann könenn wir – egal welche Auswirkungen es hat – auch nicht mehr aufhören damit. Außerdem, ui, das wäre jetzt peinlich, wenn ich das nicht erwähnt hätte, ist es so, dass wir das halt nur über jenen Ländern machen könnten, die sich das leisten können. Also, sorry, lieber Kontinent Afrika und andere finanziell arme Gegenden der Welt. Dann kriegt ihr halt noch mehr Probleme, aber das ist halt dann so.“

Ich kann nur wiederholen: Das wird ernsthaft diskutiert.

Und das ist nur der Anfang des Films. Okay, ich gebe Entwarnung. So schräg geht es nicht weiter, aber die Bedenken, die auftauchen bleiben den ganzen Film lang und mehr als nur einmal fragt man sich in welcher Welt wir leben und wie es soweit kommen konnte. Und tatsächlich zeigt Klein mit ihrem Filmteam ganz gut, wie es so weit kommen konnte. Das Stichwort: Der Siegeszug des Kapitalismus. Der Siegeszug der Dampfmaschine, der bedeutete, wir können Produktionsketten von der Natur unabhängig machen. Die Distanzierung von der Natur und der Gedanke „Wir machen uns die Welt Untertan.“

Und mit den Konsequenzen leben wir jetzt. Sicher, Klein und ihr Team geben sich auch Mühe und zeigen, welche Gegenbewegungen sich mittlerweile dagegen stemmen. Welche Bemühungen es gibt, um der Geldgier einen Riegel vorzuschieben, aber am Ende bleibt trotzdem die sehr nüchterne Erkenntnis: Solange dieser Gedanke vorherrscht, wird sich nichts ändern.

Aber wenn (und das ist nur ein sehr kleines ‚aber‘), wenn man es schaffen könnte, den Menschen zu zeigen, dass es ein Märchen ist, dass wir uns die Welt nicht unteran machen können, sondern langfristig mit ihr arrangieren (und im besten Fall sogar gut stellen) müssen, dann … nun, dann gibt es vielleicht Hoffnung für uns alle …

„This Changes Everything“ bekommt 8,5 von 10 möglichen, sachlich erschreckende, aber wichtige Informationen liefernde, Punkte.


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