Avengers: Endgame (Filmkritik)

Nachdem Thanos (Josh Brolin) die Hälfte allen Lebens im Universum ausgelöscht hat, sind die hinterbliebenen Avengers am Boden. Sie haben es nicht verhindern können. Sie sind zum allerersten Mal in über zehn Jahren gescheitert. Grandios gescheitert.

Zeit, sich die Wunden zu lecken und versuchen mit der Niederlage und den daraus resultierenden Konsequenzen umzugehen. Das ist allerdings nicht so leicht, denn während die einen sich ein neues Leben aufbauen leiden die anderen still weiter vor sich hin.

Bis sich die Chance – eine kleine, fast nicht realistische Chance – auftut, um vielleicht doch etwas zu unternehmen und alles ungeschehen zu machen.

Nein, „Endgame“ ist nicht, was ich erwartet hatte. Und vermutlich auch nicht, was ihr erwartet habt, denn der Film ist zu 80% … witzig. Ja, ihr lest richtig. Der Film ist witzig. Es ist ein klassischer Marvel-Film. Punkt. Nicht mehr und nicht weniger. Das ist ja gut. Marvel-Filme sind ja gefragt und es gibt ja jetzt auch per se keinen wirklich schlechten Marvel-Film. Das sehe ich auch so. Was aber im Regelfall völlig in Ordnung geht, ist in diesem Fall einfach zu zu wenig, denn „Endgame“ ist eines nicht: Was es sein soll. Es ist kein Abschied. Kein Ende. Es ist nur ein weiteres Mosaiksteinchen im unendlichen Marvel-Universum, das nichts anderes macht als „Age Of Ultron“ (der dafür übrigens mehrfach gescholten wurde) – nämlich weitere Marvel-Filme vorzubereiten.

Natürlich kann ich jetzt aus Spoiler-Gründen nicht sehr ins Detail gehen, weshalb ich hier sehr vage bleiben werde. Ihr guckt euch den Film ja ohnehin an, also wisst ihr dann schon, was ich meine. Um versehentliche Spoiler zu vermeiden, hier nochmals was wir alle bereits vor „Endgame“ wussten:

Eine ganze Menge an „Helden“ wurde in „Infinity War“ zu Staub geschnippt (und noch ein paar Trillionen von anderen Mensschen/Lebewesen, aber das sehen wir nicht. Auch nicht in „Endgame“). In der echten Welt wurden bereits „Spider-Man: Far From Home“ (alle Datumsangaben wurden aus dem Trailer entfernt, aber kommt schon – wir wissen alle, dass er nach „Endgame“ spielen wird), „Black Panther 2“ (ebenfalls) und „Guardians Of The Galaxy 3“ (Disney hat James Gunn übrigens wieder eingestellt, um Regie zu führen – yes!) angekündigt. So viel dazu.

Was ist also meiner Ansicht nach das Problem, welches „Endgame“ hat: Als ich nach „Infinity War“ aus dem Kino ging, habe ich gesagt: „Von mir aus kann das MCU hier aufhören, denn diesen Film kann man nicht toppen.“ So viele Emotionen, soviele Überraschungen und DIESES Ende. Ich fand es großartig und verdammt mutig. Meine Befürchtung und mein nächster Satz war: „Ich hoffe, sie widerstehen der Versuchung, alles wieder rückgängig zu machen.“ Und jetzt kommt es: Nein, sie konnten nicht widerstehen. Und natürlich wussten wir das alle. Trotzdem ist es schade.

„Endgame“ macht verdammt viel richtig: Das erste Drittel des Films beschäftigt sich tatsächlich mit dem Umgang der Verbliebenen Heldinnen und Helden mit ihren Verlusten. Das fand ich großartig. Da hatte das Ende von „Infinity War“ tatsächlich noch Gewicht. Spürbare, traurige, aber passende Konsequenzen. Aber auch hier konnte Marvel scheinbar nicht widerstehen (man kennt ja das Zielpublikum) und natürlich werfen sich unsere Helden gegenseitig (sarkastische) Witze um die Ohren. Verstehe ich. Mein Leben besteht ja auch in allen Situationen aus mindesten 50% Sarkasmus (das war jetzt kein Sarkasmus (Und das auch nicht (Und das auch nicht (etc)))). Trotzdem merkt man schon … da bahnt sich was Schräges an.

Und genau das kommt dann auch im zweiten Drittel: Der Film nimmt Fahrt auf, die Handlung und die Schritte zum erwarteten Finale sind klar – der Humor kommt in voller Dosis. Das zweite Drittel des Films ist eine einzige Anspielung auf alles was davor kam (und ihr wisst, wie „Ant-Man“ – *räusper* Marvel das macht …) und man verneigt sich vor allen Phasen und Filmen (manchmal nur verbal, wie eben „Ultron“) und führt im dritten Akt in die erwartete Materialschlacht. Das alles funktioniert. Es funktioniert sogar so gut wie in jedem anderen Marvel-Film. Der zweite Akt/das zweie Drittel des Films lebt allerdings von 90% Nostalgie. Was okay ist: Als Endpunkt einer 11 Jahre und 22 Filme umspannenden Filmreihe, ist es völlig okay, dass man sich auf das eigene Universum bezieht. Ich mach ja auch keinen Hehl daraus, dass man in „Herr der Ringe: Rückkehr des Königs“ voraussetzt, dass wir wissen wer Aragorn ist. Oder im achten Harry Potter Film nicht erklärt wird, warum Hermione jetzt wichtig ist.

Das alles war cool und nett und witzig und ich musste mehrmals (Thor, Hulk, etc) wirklich herzhaft lachen. So richtig nämlich. Da hat Marvel dann doch ein paar sehr witzige Dinge durchgehen lassen, die ich so nicht kommen gesehen habe und ich hätte nie gedacht, dass sie sich das trauen (Hut ab vor Chris Hemsworth!).

Was es allerdings nie, keine Sekunde lang, gibt, ist die Befürchtung, dass der Plan schiefgeht. Als ein Faux-Pas passiert und alles zu scheitern droht, was macht man dann? Genau, einen Witz. Und drei Sekunden später hat man einen Ersatzplan für etwas, was die 90 Minuten davor noch unmöglich schien. Da geht es mir nicht um die Logik des Films (die sehr, sehr gestreckt wird, aber okay – ich bin jetzt keiner von denen (mehr, das war ich mal), der Logikprobleme als Unterhaltungshemmung sieht. Trotzdem gibt es aus dem Stehgreif 3 Regeln, die mir einfallen (und die teilweise in älteren Filmen eine riesengroße Rolle gespielt haben), die in diesem Film ohne Erklärung nicht mehr gelten), sondern um den emotionalen Fehltritt. Das meine ich damit: Es geht um NICHTS. Es gibt keine Schwere, es gibt keine Bedrohung, es gibt keine Sekunde die Möglichkeit eines Scheiterns. Es gibt hauptsächlich (großteils) gute Witze auf Kosten der eigenen Filmreihe. Was passt. Vorausgesetzt, am Ende hätte alles irgendwelche Konsequenzen.

Und nein, die gibt es nicht. Nicht wirklich. Ja, ich weiß, dass es Charaktere gibt, die den Film nicht überleben. Und andere, die aus anderen Gründen nicht wiederkommen werden. Trotzdem ist „Endgame“ kein Ende, kein Abschluss – er ist das genau Gegenteil: Er ist die AUFHEBUNG eines Endes. Die Aufhebung des Endes von „Infinity War“. Ich kann es nur immer und immer wiederholen: „Endgame“ ist der Start von „Phase 4“ und nicht der Endpunkt von „Phase 3“. Das war der Vorgängerfilm.

Wer jetzt meint, aber x und y und z sind nicht mehr dabei in Zukunft. Ja … und? Haben euch die in den vorigen Filmen gefehlt? Denkt ihr wirklich in den nächsten Filmen, wird das (im Film) noch irgendjemand interessieren (von Randbemerkungen wie „Ach, wäre xy doch hier“ oder schicksalsschwangeren Blicken auf Bilder abgesehen)? „Spider-Man: Far From Home“ wird den gleichen, witzig-locker-flockigen Ton haben wie „Spider-Man: Homecoming„. Auch „Black Panther 2“ wird sicht nicht anders anfühlen als „Black Panther„. Das wisst ihr genauso gut wie ich.

Kurzversion: Alles ist wieder genauso wie es war. Auf einer emotionalen Ebene. Dabei mache ich den Drehbuchautoren keinen Vorwurf: Mit dem Auftrag einen „Auftaktfilm“ für „Phase 4“ zu machen, haben sie großartige Arbeit geleistet (und glaubt mir, genau das war der Auftrag) und die 181 Minuten waren keine Sekunde langweilig (Trotzdem hätte man den Film um sicher 45 Minuten kürzen/straffen können). Aber das ist eine andere Geschichte. Es gab auch ein paar Gänsehautmomente (alle im letzten Drittel), keine Frage. Trotzdem ist „Endgame“ nicht das Ende. Es ist in keiner Hinsicht ein Abschluss (naja, in einer Hinsicht vielleicht).

Und das ist schade. Denn Marvel hat das Unmögliche geschafft: Sie haben ein 11 Jahre und 22 Filme umspannendes Filmuniversum geschaffen, welches zum größten Teil aus den (sogar in Nebenrollen!) gleichen SchauspielerInnen besteht und jeder(!) dieser Filme ist mindestens unterhaltsam(!). Das dürfte es theoretisch überhaupt nicht geben! Sie haben etwas bis heute noch nie Dagewesenes geschaffen und geschafft. Durch Mut, durch Innovation. Wer hätte gedacht, dass ein Film wie „Guardians Of The Galaxy“ gut werden kann, ihn produziert und das Ruder noch dazu einem ex-Troma-Regisseur in die Hand gegeben? Wer hätte gedacht, dass Black Widow (die im ja eher nicht so tollen „Iron Man 2“ eingeführt wurde) einmal so beliebt ist? Wer hätte gedacht, dass ein Film wie „Ant-Man“ funktionieren kann? Wer hätte es gewagt einen Film wie „Black Panther“ zu machen? Eben. Niemand außer Marvel. Die Jungs und Mädels von Marvel (allen voran Kevin Feige) haben absolut Großartiges geleistet.

Nur eines haben sie nicht gehabt: Den Mut, es auch bis zum Ende durchzuziehen bzw. dem Ganzen ein Ende zu setzen.

Und nur so am Rande: SPOILER SPOILER SPOILER
Thanos haben sie zu einem weiteren belanglosen Marvel-Bösewicht degradiert mit austauschbaren und völlig beliebigen Motiven. Der große, erhabene Thanos, der distanziert sein Ziel verfolgt und dafür (auch für ihn emotional schwere) Opfer bringt ist weg. Jetzt haben wir einen rachsüchtigen „Ich bringe alle aus Rache um und werde es genießen“-Austausch-Pinky; und seine Handlanger haben übrigens genau gar nichts mehr zu sagen.
SPOILER ENDE SPOILER ENDE SPOILER ENDE

„Avengers: Endgame“ bekommt von mir (als Abschlussfilm) 7,5 von 10 möglichen, 181 Minuten gute Unterhaltung bietende, doch keinen wirklichen Abschluss bringende, Punkte. Als „Anfangsfilm für Phase 4“ könnt ihr gern 2 Punkte draufschlagen.

PS: So und jetzt könnt ihr mich gerne schimpfen.


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