Ruth Slater (Sandra Bullock) wird aus dem Gefängnis entlassen. Sie hat lange Jahre gesessen und will eigentlich nur eines: Wieder ein halbwegs normales Leben führen und ihre kleine Schwester Katherine (Aisling Franciosi) wiedersehen. Aber diese wurde, weil sie noch ein Kleinkind war, als Ruth ins Gefängnis kam und ihre Eltern beide tot, bei Pflegeeltern (Richard Thomas und Linda Edmond) untergebracht. Diese haben ihr jedoch nie gesagt, dass sie adoptiert ist und noch eine ältere Schwester hat.
Just am Tag als Ruth entlassen wird, hat Katherine einen Autounfall, weil sie am Steuer fast eingeschlafen ist. Grund dafür sind wiederkehrende Albträume und immer wieder hat sie das Bild einer jungen Frau vor sich.
Aber das Leben meint es mit Ruth nicht besonders gut, denn der Grund für ihren Gefängnisaufenthalt war ein Mord an einem Sheriff. Dessen Kinder (Will Pullen und Tom Guiry), jetzt erwachsen, sinnen zum Teil auf Rache. Auch das „normale“ Leben gestaltet sich als schwierig, da sie als Ex-Häftling immer wieder mit dieser Tatsache konfrontiert wird und alles immer schwieriger wird …
Hauptgrund dafür, mir diesen Film anzusehen war nicht Sandra Bullock („Bird Box„, „Gravity„), sondern die Regisseurin, denn Nora Fingscheidt ist die Dame hinter „Systemsprenger“ und dass dieser mir sehr, sehr gut gefallen hat, sollte ja bekannt sein. Der Sprung von „unbekannt“, „deutscher Film“ und „unbekannte Darsteller“ hin zur Arbeit in Hollywood mit Größen wie Sandra Bullock, Jon Bernthal („Baby Driver„, „Wind River„), Viola Davis („The Suicide Squad„) und Vincent D’Onofrio („The Salton Sea„) ist jedoch einer, den Fingscheidt mit Bravour meistert und es sind auch alle mit absoluter Spielfreude am Werk.
Bullock kann man ab der ersten Szene ihre Bürde an der gesamten Körperhaltung, Mimik und Ausstrahlung ablesen. Auch ihre Wortkargheit, ihr scheinbar sturer Wunsch, ihre Schwester zu sehen und ihrer an unpassenden Momenten, emotionalen Ausbrüche – Bullock spielt brachial großartig. Auch die kleineren emotionalen Momenten sind wirklich, wirklich gut und sie trägt den gesamten Film problemlos auf ihren Schultern.
Natürlich hilft es, dass mit Viola Davis, Vincent D’Onofrio und anderen bekannten und sehr guten Schauspieler:innen auch der Cast rundherum quasi perfekt zusammengefunden hat. D’Onofrio als Anwalt, der ein gutes Herz hat, Viola Davis als seine sehr skeptische Frau und nicht zu vergessen Emma Nelson, als leibliche Tochter der Malcolms, die Katherine bei sich aufgenommen haben, die sich liebevoll um ihre Halbschwester/Stiefschwester sorgt und eine wirklich wichtige Entdeckung macht. Sie alle passen wirklich wunderbar zusammen. Das gesamte Ensemble funktioniert unglaublich gut. Natürlich ist auch Jon Bernthal super, aber das muss man ja im Regelfall eh nicht separat erwähnen.
Was der gesamten Crew in die Hände spielt ist das Drehbuch, welches in Online-Medien wie der IMDB leider nicht besonders gut wegkommt („langweilig“, „mies“, „fad“, „dümmster Film überhaupt“ und so weiter. Allerdings muss ich anmerken, dass „dümmster Film überhaupt“ mittlerweile quasi unter jedem Film steht …). Das kann daran liegen, dass dies die Adaption einer Miniserie aus Großbritannien ist, also eigentlich ein Drei-Teiler mit dem Titel „Unforgiven“ und die Handlung hier auf knappe zwei Stunden reduziert wurde.
Ich kenne das „Original“ nicht und mir hat hier auch nichts gefehlt. Sicher, manche Charakterentwicklungen wären vielleicht mit mehr Screentime noch besser gewesen, aber auch so finde ich, hat Fingscheidt ein gutes Händchen darin, Dialoge wegzulassen und einfach Blicke oder Gesten oder Momente zu zeigen, die komprimiert zeigen, was sonst eine Unmenge an Worten gebraucht hätte. So zum Beispiel die Wandlung von Keith (Tom Guiry), seines Zeichens Sohn des ermordeten Sheriffs, der anfangs seinen Bruder Steve (Will Pullen) fragt, ob er noch ganz dicht ist, weil er Ruth nachspioniert und aufgrund diverser Umstände, dann selbst in eine sehr unangenehme Richtung tendiert.
Es wird allen genug Zeit gegeben, dass sie in die Handlung passen, ihre Wichtigkeit in dem System aus Figuren betont wird, aber so richtig beleuchtet wird eigentlich nur Ruth. Und das passt. Für einen Film wie diesen mit einer Laufzeit wie dieser, passt das wunderbar. Und es spricht ja an sich auch für das Drehbuch, dass ich mir bei ein paar der Charaktere dachte, ich würde gern mehr über die erfahren und wissen. So zum Beispiel D’Onofrios Anwalt und dessen Familie (inklusive der zwei Jungs). Oder die Pflegeeltern von Katherine. So sind sie nur Plot-Points, wenn auch welche mit genug schauspielerischer Expertise und Screentime, dass man sie auch als Menschen/Charaktere wahrnimmt – was ja nun echt keine Selbstverständlichkeit darstellt.
Der Film ist ziemlich flott erzählt, pausiert nur in kurzen Momenten, um bestimmte Situationen wirken zu lassen und geht dann aber sehr konsequent in Richtung seines erwarteten Endes weiter. Und trotzdem – spannend, berührend, nachvollziehbar, mit sowas wie einem kleinen Twist nach gut 4/5 des Films und in starken, eindringlichen Bildern erzählt. Natürlich – ich wiederhole mich – getragen von einer wirklich starken Performance von Bullock.
Schon lange her, dass mich ein Film mit einer derart simplen Prämisse aufgrund des Drehbuchs, seiner Figuren und seiner Inszenierung so mitgerissen hat. Und ja, ich hatte Tränen in den Augen. Aber ich bin momentan auch nah am Wasser gebaut, wie man so schön sagt. Ich würde den Film fast ein wenig mit „Three Billboards Outside Of Ebbing, Missouri“ vergleichen, auch wenn dessen Klasse nicht ganz erreicht wird (was aber auch an der Ausgangslage und dem Plot liegt, der doch eine völlig eigene Klasse für sich darstellt).
„The Unforgiveable“ bekommt 8,5 von 10 möglichen, spannende, mitreissende, von starken Charakteren getragene, Punkte.