Systemsprenger (Filmkritik)

Benni (Helena Zengel) ist ein Problemkind. Das heißt, sie ist ein Problem, wo immer sie auftaucht. Deshalb wurde sie vom Jugendamt auch ihrer Mutter abgenommen. Sie wohnt in einem Heim. Nicht im ersten Heim, wie man wohl anmerken muss. Die Mutter hat noch zwei andere, jüngere Kinder und ist mit Benni schlichtweg überfordert.

Frau Bafane (Gabriela Maria Schmeide), die zuständige Sachbearbeiterin des Jugendamts, ist ebenfalls am Ende ihres Lateins. Sie mag Benni, möchte ihr helfen, aber es gibt einfach keinen Weg, wie das noch gehen soll. Sie fliegt aus ihrem aktuellen Heim und es gibt kein anderes Heim, welches sie nehmen möchte.

Da meldet sich Micha (Albrecht Schuch) freiwillig. Er ist Anti-Gewalt-Trainer und er bietet an mit Benni ein paar Tage in eine Hütte im Wald zu fahren, wo sie lernen muss selbst zurecht zu kommen. Ohne andere Kinder, ohne ein „System“ um sie herum. Nach anfänglichem Zögern stimmen alle zu.

Und die ersten Tage geht alles gut. Aber dann macht Micha einen riesengroßen Fehler. Und es wird nicht der letzte sein.

Gleich vorweg: Ich habe vor vielen Jahren selbst sogenannte „verhaltensauffällige“ (oder wie es später hieß „verhaltensoriginelle“) Kinder bzw. Jugendliche betreut, kann also ganz gut einschätzen wie realistisch ein Film, der in diesem Metier spielt und von diesem Thema handelt, ist. Und ich formuliere es mal so: Ich musste bei diesem Film tatsächlich zwei Mal eine Pause einlegen, weil er mich mehrfach an Jugendliche erinnert hat, die ich selbst betreut habe und deren Geschichten ähnlich hoffnungsvoll abliefen wie die von Benni.

Tatsächlich ist es so, dass ich nach Ende des Films meine Verwandtschaft kontaktiert habe, um ihnen zu sagen, wenn sie mal wissen wollen, wie Sozialarbeit abläuft (das Klischee beläuft sich ja auf Rauchen, Herumsitzen und Kaffeetrinken), dann sollen sie sich diesen Film ansehen.

Ja, so realistisch ist er. Er ist auch in etwa genauso hoffnungsvoll. Und viele der Dinge, die im Film passieren kenne ich entweder aus eigener Erfahrung oder habe die Verzweiflung der Kolleginnen und Kollegen bei ihren Betreuungen live mitbekommen.

Ebenfalls gleich mal vorweg: Der Film ist alles andere als einfach anzusehen und ihr werdet mehr als einmal sehr unwohl in eurem Sessel herumrutschen. Würde man ein Genre wählen müssen, dann würde man wohl Drama sagen, tatsächlich könnte man es auch einen Thriller nennen.

Tatsache ist, das Leben geht weiter und ich treffe immer wieder mal Jugendliche, die ich früher betreut habe. Viele davon haben es geschafft aus ihrem Verhalten auszubrechen und ein „normales“ Leben zu führen. Das ist der positive Teil an der Geschichte. Dort wo der Film aufhört … nun, sagen wir mal so: Das Ende hat mir nicht gefallen, weil es so viel offen lässt und weil es so aussieht als würde es *SPOILER* für Benni keine Zukunft geben *SPOILER ENDE*. Tatsächlich ist es oftmals so, dass die Kids wenn sie älter werden beginnen Dinge zu verstehen, die sie damals nicht verstanden haben, wie zum Beispiel das Verhalten ihrer Eltern oder Ähnliches. Und dann auf einmal hörst du, wie ein mittlerweile herangewachsener Knirps zu dir sagt: „Du warst immer auf meiner Seite. Egal, was ich gemacht habe. Und als ich dann älter war und ich an meinem Umfeld fast verzweifelt bin, da hab ich mir des Öfteren gedacht: Aber es gibt auch Leute wie dich. Ich muss nur durchhalten, dann lerne ich sie kennen. Und das hat mir Kraft gegeben.“

Ich will damit nicht Selbstlob ausdrücken, sondern ausdrücken, dass es keine „Systemsprenger“ gibt. Es gibt nur Kinder die man ganz lange „aushalten“ muss (und jede Minute kommt dir vor wie ein Jahr). Mit all den kleinen Höhen und den wirklich tiefen Tiefen. In den meisten Fällen (nicht in allen) geht es mittel- bis langfristig gut aus. Wie gesagt, leider nicht immer.

Was den Film betrifft: Ich möchte gar nicht viel dazu sagen, außer, dass das Drehbuch ein Wahnsinn ist – genau so ist das. Es gibt im Film keine Bösewichte. Es gibt Menschen, die ihre Ziele haben, die ihre Eigenheiten haben und die sich so gut wie möglich bemühen ihr Leben im Griff zu haben oder zu bekommen. Das funktioniert halt nicht immer so, wie man sich das vorstellen würde.

Damit es im Film auch so rüberkommt, wie es rüberkommen soll braucht man wirklch, wirklich gute Darstellerinnen und Darsteller. Und mit Helena Zengel hat man den Jackpot geknackt. Die Kleine ist einfach grandios. So spielen können wie die junge Dame in diesem Alter – Puh. Wenn sich da mal jemand einen Oscar verdient hätte, dann wohl dieses Mädchen. Aber auch der Cast rundherum ist wirklich, wirklich gut – selbst die kleinsten Nebenrollen sind quasi perfekt gecastet.

Eine der berührendsten Szenen passiert übrigens zwischen Fr. Bafane und Benni. Euch wird das Herz brechen. Und ihr werdet Benni lieben. Und ihr werdet sie zum Teufel wünschen. Und ihr werdet Micha mögen. Und ihr werdet der Meinung sein, dass er komplett verrückt ist. Und ihr werdet euch denken „Ach, wie süß, die Kleine ist ja nur missverstanden“ Und dann werdet ihr Angst vor dem haben, was sie vermutlich tun wird. Ihr werdet durch alle Emotionen gehen, die es gibt.

Wie im Leben.

Zusammengefasst kann ich diesen Film eigentlich nur mit einem Wort beschreiben: Perfekt.

Und das sage ich, obwohl ich deutschsprachige Filme meistens nicht leiden kann, weil sie auf mich oft gekünstelt wirken (ja, es gibt Ausnahmen). Dieser hier ist ein so genannter „Must-See“.

„Systemsprenger“ bekommt von mir 10 von 10 möglichen Punkten. Dem gibt es nichts hinzuzufügen.


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