22 July (Filmkritik)

Am 22. Juli 2011 erschoss ein irrer rechts-extremer Verrückter, nachdem er eine Bombe im Regierungsviertel von Oslo gezündet hatte, auf der Insel Utoya mehr als 70 Menschen. Ein großer Teil davon waren Jugendliche. Der Mann wurde verhaftet und ihm wurde der Prozess gemacht.

Einen Film über den Anschlag von Oslo und Utoya zu drehen ist gewagt, um es nett zu formulieren. Und doch gibt es im Jahr 2018 – 7 Jahre nachdem der Irre, den ich nicht mit Namen nennen will, weil ich es ihm nicht vergönnt bin berühmt zu werden (ich denke, dass ist die schrecklichste Strafe für ihn: Wenn man ihn vergessen würde) – zwei Filme, die sich dieses düsteren Kapitels annehmen. Der eine Film trägt den Titel „Utoya“ und dauert genauso lange wie der Anschlag. Erzählt wird die Geschichte einer der Jugendlichen auf der Insel und es gibt keine Schnitte. Die ZuseherInnen sollen sich fühlen wie die Opfer. Ich glaube nicht, dass ich den Film aushalten würde.

Der andere Film ist dieser hier: „22 July“. Der Anschlag ist nur das erste Drittel des Films und die anderen beiden bekommen zum Glück genauso viel Zeit spendiert und sind für mich essentiell. Es schien mir nicht möglich nach diesem Film positiv gestimmt zu sein. Es schien mir nicht möglich, nach diesem Film einen Gedanken zu haben wie „Der Mensch ist ein großartiges Wesen“. Und doch hat Paul Greengrass („Bourne Identity“ oder „Green Zone“ oder „Flug 93“) das geschafft. Der Film basiert auf dem Buch „One Of Us“ von Asne Seirstad und Greengrass hat das Drehbuch selbst verfasst.

Es spielen nur SchauspielerInnen mit, die tatsächlich aus Norwegen kommen, was ich sehr positiv finde. Allerdings sprechen sie alle englisch – mit Akzent. Es war trotzdem nicht schwer ihren Worten zu folgen. Ich habe zwar ein paar Kritiken gelesen, in denen sich Menschen genau darüber beschwert haben, weil es den Film anders „authentischer“ machen würde, aber hey – ihr habt doch einen an der Waffel. Deshalb heißt es „schauspielen“. Authentischer … wir reden hier von einem Anschlag auf Kinder und Jugendliche. Ich bin ganz froh, wenn ich da ein wenig Distanz schaffen kann.

Wie dem auch sei – der Film schafft es einerseits das unglaubliche Drama, welches sich abgespielt hat, grauenhaft intensiv einzufangen, lässt die ZuseherInnen danach aber nicht allein zurück. Der Film geht weiter. Wir folgen einerseits dem Anwalt, der den Attentäter verteidigen muss (Hut ab vor der Rolle – man merkt dem Mann an, wie sehr er seinen Klienten verabscheut, aber er macht seinen Job), genauso wie dem Prozess. Und man folgt drei Überlebenden, von denen einer stark verkrüppelt wurde und der von Grund auf alles neu lernen muss.

Dadurch, dass man sich auch auf den Heilungsprozess konzentriert und die Bande zeigt, welche die Überlebenden gegenüber einander entwickelt haben, wird ein starker Kontrast zu dem Wahnsinn und Hass des Attentäters eingebaut. Wer den Film ansieht, sollte ihn bis zum Schluss sehen. Ich weiß nicht, ob alles während der Verhandlung wirklich so wie im Film dargestellt passiert ist (alle Dinge, die ich aus dem Film gecheckt habe und finden konnte, sind wirklich passiert), aber drei Dinge blieben bei mir wirklich richtig präsent:

1) In einer Szene will der Attentäter Zeugen geladen wissen. Er hat eine Liste gemacht. Aber niemand davon will für ihn aussagen. Nicht einmal seine Mutter.

2) Eine andere Szene zeigt einen Nazi bzw. einen Anführer einer rechtsradikalen Bewegung, der klipp und klar sagt, wo er politisch steht – und dann in Richtung Attentäter klar festhält, dass das was dieser gemacht hat krank und irre ist und niemand das haben oder sehen wollte. Ich hoffe wirklich, dass dies passiert ist. Dass der Kerl gecheckt hat wie alleine und verloren er ist.

3) Die dritte Szene: Als ihm der (körperlich) halbwegs gesundete Überlende erklärt, er werde leben, lieben und Freunde haben können. Ein schönes Leben. Ein erfülltes Leben, während er, der Attentäter, in einer Zelle allein und lieblos verrotten würde. Ganz ehrlich: Das war eine Genugtuung.

Ich weiß nicht, wie man solch einen Film bewerten soll, ich fand ihn absolut gelungen und gerade das Gefühl am Ende, nämlich, dass Hoffnung allen Hass besiegen kann – diese Message kann ich vollumfänglich befürworten.

„22 July“ bekommt von mir 8 von 10 möglichen, aus einer Tragödie Hoffnung erzeugende, Punkte.

Den Film gibt es auf Netflix zu sehen.


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