Wolfsnächte – Hold The Dark (Filmkritik)

Russell Core (Jeffrey Wright) wird in den kalten und dunklen Norden gerufen. Er hat einen Wolf gejagt und zur Strecke gebracht. Dann hat er ein Buch darüber geschrieben. Gerufen hat ihn Medora Slone (Riley Keough), denn ihr Sohn wurde, während ihr Mann Vernon Slone (Alexander Skarsgard) seinen Dienst im Krieg verrichtet, vermutlich von einem Wolf gerissen und verschleppt. Er ist angeblich nicht das erste Opfer.

Bereits bei seiner Ankunft weist ihn Medora darauf hin, dass er keine Ahnung hat, wie dunkel und finster es in dieser Gegend wird. Nicht nur im Außen. Auch im Innen. In seiner ersten Nacht schleicht sich Medora zu ihm ins Bett. Sie ist sichtlich verstört, schmiegt sich an ihn und setzt sich eine hölzerne Wolfsmaske auf.

Am nächsten Morgen macht sich Russell auf, um den Wolf und das Rudel zu finden, die Medoras Sohn gerissen haben sollen. Er findet aber weit mehr. Er findet das Böse im Menschen. Die Dunkelheit des Landes und die Dunkelheit in allem um ihn herum.

Wer nach einem Film möglichst gute Laune haben und alle Fragen beantwortet haben möchte, der oder die sollte um „Hold The Dark“ bzw. „Wolfsnächte“ einen großen, ganz großen, weiten Bogen machen. Hier gibt es keine Liebe oder Hoffnung am Horizont. Hier gibt es nicht mal ein kurzes Lächeln. Das Beste worauf man hoffen kann, ist ein Bier geteilt in der Küche im warmen Kerzenlicht, mit einem Menschen, den man als Freund bezeichnet, während man weiß, dass draußen die Welt zugrunde geht und auch dieser kurze Moment vergehen wird.

Das ist worauf ihr euch bei „Hold The Dark“ einlasst. Der Film ist von Anfang bis Ende morbide, schräg, bedrohlich, mysteriös, unerklärlich und kompromislos. Dutzende Male werdet ihr euch fragen, warum Person A dies oder jenes macht. Ihr werdet euch fragen, ob Übernatürliches im Spiel ist. Ihr werdet euch fragen, ob ihr irgendetwas übersehen habt, ob ihr ein Symbolbild falsch gedeutet oder irgendeine Szene missverstanden habt. Ihr werdet euch fragen, was zum Kuckuck passiert und vor allem auch warum.

Und dieser Film wird es euch nicht einfach machen. Er liefert wenig bis keine Antworten. Wenn er sie liefert, dann verpackt in Dialoge, die scheinbar über andere Dinge geführt werden, aber auf einer anderen Ebene alle Antworten liefert, die ihr haben wollt. Aber es wird euch nicht helfen. Ihr werdet am Ende vor dem Bildschirm/Fernseher sitzen und tief in euch wird euch die Frage beschäftigen, ob ihr diesen Film gut gefunden habt oder ob ihr ihn gehasst habt. Was ihr euch auf jeden Fall fragen werdet ist, was zum Geier ihr da eben gesehen habt und ob es eine versteckte Bedeutung gibt, die einfach an euch vorbeigegangen ist.

Jeremy Saulnier hat vor „Hold The Dark“ bereits zwei Filme gedreht, die in manchen Kreisen fast so etwas wie Kultstatus erlangt haben. Das waren „Green Room“ und „Blue Ruin“. Vor allem „Green Room“ dürfte einigen ein Begriff sein. Ich habe beide nicht gesehen, kann also nicht sagen, inwiefern sich „Hold The Dark“ von diesen beiden unterscheidet. Ich kann aber festhalten, was „Hold The Dark“ ist:

Es ist eine Mediation über die Bestie in manchen Menschen und über die Tatsache, dass man manche Dinge nicht stoppen, sondern im besten Fall nur ertragen kann. Adaptiert nach einem Buch von William Giraldi (welches ich nicht gelesen habe), beginnt der Film bereits mit einer bedrohlichen, unheimlichen und unheimlich intensiven Atmosphäre. Und er hält sie bis zum Ende aufrecht. Dazwischen gibt es mal mehr und mal weniger erwartete Ausbrüche an kompromisloser Gewalt, die zwar deutlich gezeigt wird, aber nicht voyeuristisch wirkt.

Gerade eine Schießerei in der Mitte des Films ist an kompromissloser Härte kaum zu überbieten, macht in ihrer Intensität sogar der Ballerei in „Heat“ Konkurrenz. Wenn der Schock darüber verschwunden ist, taucht die Frage auf: Warum ist das passiert? Hier entscheidet sich dann, ob ihr denn Film nehmen könnt wie er ist. Der Schießerei geht nämlich ein Dialog voraus in welcher der Sheriff versucht genau diese Schießerei zu verhindern. Dieser Dialog ist der Knackpunkt des Films. Wer gut zuhört und zwischen den Zeilen lesen kann bekommt jede Erklärung, die er/sie braucht. Vom Ende abgesehen.

Die SchauspielerInnen machen einen verdammt guten Job. Alexander Skarsgard ist in jeder einzigen Einstellung eine Bedrohung und die Kompromisslosigkeit in Person. Das beginnt bereits bei seinem ersten Auftritt im Film im Krieg. Eine Szene wie diese habt ihr noch nicht gesehen (vor allem seine stoische Mimik dabei). Jeffery Wright geht wohl am meisten durch alle Emotionen die es gibt und man glaubt ihm jede einzelne davon.

Ein unglaublich intensiver Film, der mehr wirkt als er erklärt. Für mich ergibt das Ende Sinn. Ich könnte euch vermutlich nicht erklären, warum es für mich absolut zum Film passt und warum es für mich alle Fragen beantwortet, aber das tut es. Etwas „in“ mir versteht, ohne es in Worte fassen zu können.

Eine erschreckende Erkenntnis für einen unheimlichen, bedrohlichen und intensiven Film.

„Hold The Dark“ bekommt von mir 8,5 von 10 möglichen, die Dunkelheit aushaltende, Punkte.

Den Film gibt es auf Netflix.


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