Life Is Strange (Game-Review)

Max Caufield war fünf Jahre lang weg. Sie hat die Stadt Arcadia Bay und auch ihre beste Freundin Chloe Price hinter sich gelassen. Nun, da sie an einer Privatschule Unterricht in Fotografie nehmen will und dort der angesagteste Szenefotograf Mr. Jefferson unterrichtet, kehrt sie wieder zurück.

Doch die Zeit ist nicht stehengeblieben und es fällt Max nicht leicht, sich wieder einzugewöhnen. Vor allem, dass sie noch immer keinen Kontakt zu ihrer ehemals besten Freundin Chloe aufgenommen hat, zeigt sich in Gewissensbissen.

Dann passiert das Unerwartete: Max hat die Vision eines Tornados, der unweigerlich auf Arcadia Bay zusteuert und die Stadt am Ende der Woche vernichten wird. Als sie wieder aufwacht läuft sie zur Damentoilette, um wieder zu Sinnen zu kommen, nur um Zeugin zu werden wie einer der Schüler eine junge Frau erschießt. Voller Entsetzen will Max dies verhindern und muss feststellen: Sie kann die Zeit zurückdrehen. Und plötzlich stellen sich eine ganze Menge neuer Fragen …

„Life Is Strange“ kam aus dem Nichts und hat die Herzen von vielen im Sturm erobert. Viele waren völlig angetan von den Charakteren, dem Art-Style des Spiels und der coolen Story. Es kam ein Nachfolger, der eigentlich die Vorgeschichte erzählte („Before The Storm„) und aktuell läuft Season 2 (mit anderen Hauptfiguren).

Im Grunde genommen ist „Life Is Strange“ ein weiteres Episodenspiel, welches dieses Mal von den Franzosen „DontnoD“ entwickelt wurde („Remember Me„) und sich um das Leben einer zurückgekehrten Schülerin auf einer Highschool dreht. Klingt langweilig? Ihr habt ja keine Ahnung, was da auf euch zukommt, denn Arcadia Bay und Blackwell (die Highschool) haben es in sich.

Episode 1: Chrysalis

Der Einstieg ist schon mal außerordentlich gut gelungen: Wir erleben mit Max ihre Vision und die Vernichtung, welche der Tornado mit sich zieht. Dann sitzen wir plötzlich im Klassenzimmer und hören uns einen Vortrag von Mr. Jefferson an. Wir verlassen die Szene, gehen auf die Toilette und dann passiert es – wir sind verzaubert. Von der Musik, der Atmosphäre und der Inszenierung der Geschichte.

DontnoD bringen die Stimmung in der Schule, die einzelnen Schülerinnen und Schüler als auch ihre Beziehungen zueinander bereits in der ersten Folge wirklich gut rüber. Vor allem fällt sofort auf, dass manche der Kolleginnen einer anderen, streng gläubigen, Kollegin namens Kate Marsh ziemlich zusetzen. Wir wissen allerdings nicht warum.

Und bereits hier fängt die Sache an interessant zu werden, denn wenn und ob uns interessiert, was mit Kate los ist oder nicht, nun, … das hat Konsequenzen. In die eine wie auch die andere Richtung. Es sind kleine Momente, ein kurzes Nachfragen wie es jemand geht, sich zu jemand am Pausenhof setzen und über belanglose Dinge sprechen … alles sind kleine Puzzleteile, die in späteren Szenen durchaus (mal sehr kleine, mal größere) Auswirkungen haben.

Und das Leben auf der High-School haben die Damen und Herren aus Frankreich erstaunlich gut hinbekommen. Es dauert auch nicht lange und wir treffen auf Chloe Price, die sich noch als der Dreh- und Angelpunkt der Geschichte herausstellen wird, denn eine vermisste Schülerin namens Rachel Amber, hat eine sehr enge Verbindung zu ihr.

Fazit: Die erste Episode präsentiert viele Charaktere als Archetypen und Klischees. Traut man sich jedoch die Personen ein wenig näher unter die Lupe zu nehmen, so zeigen sich bereits jetzt unerwartete Variationen und das Ende ist … unter die Haut gehend. Was DontnoD hier absolut beweisen ist ihr Gespür für die Kombination von Musik, Bild, Schnitt und Stimmung. Ziemlich beeindruckender Auftakt.

Episode 2: Out Of Time

Was in der zweiten Episode passiert hängt stark von euch ab. Sogar sehr stark. Die Macher*innen zeigen euch in dieser Episode, das sie keine Angst vor harten Themen und auch nicht vor harten Konsequenzen haben und sie sparen diese auch nicht bis zur letzten Folge auf. Dramaturgisch großartig gemacht, einfühlsam und bewegend inszeniert und auch spannend. Auch aus die gesamte Staffel dramaturgisch betrachtender Sicht muss ich sagen: Fast perfekt. In der zweiten Episode wird euch gleich mal vor Augen geführt was eure Aktionen auslösen können bzw. der Mangel eurer Aktionen auslösen kann.

Ihr habt euch sicher gefühlt, weil ihr dachtet, ihr könntet ohnehin immer die Zeit zurückspulen? Fehlanzeige. Hier wird euch sehr eindringlich klar gemacht, dass die Sache so nicht funktioniert und je nachdem, wie ihr euch in Episode 1 und 2 verhalten habt, werdet ihr die Rechnung präsentiert bekommen.

Dazwischen gibt es ein paar – meiner Ansicht nach – längere Szenen, die euch den Umgang mit der Rückspulfunktion erklären sollen, denn diese wird später für ein paar Rätsel wichtig. Fand ich witzig und auch nicht besonders schwer, aber auch eine Spur zu lange. Und Chloe, ganz ehrlich, die ging mir die ersten beiden Folgen großteils auf den Geist. Vor allem, da sie immer wieder wiederholt „If something happens, be sure to rewind …“ Jaja, wir haben es begriffen.

Fazit: Diese Episode setzt noch eines drauf und reißt euch gleich mal mit. Vor allem storytechnisch passieren hier Dinge, die über mehrere Episoden lang weiterhallen werden und mit diesen Konsequenzen werdet ihr leben müssen. Trotz ein paar Längen hochdramatisch und super.

Episode 3: Chaos Theory

Der Name ist Programm. Alles gerät ins Schleudern. Nach dem Ende von Episode 2 (erneut emotional super inszeniert und in einer perfekten Harmonie aus Bild und Ton und Inhalt präsentiert) geht es weiter. Ein Einbruch, eine Erkenntnis, ein scheinbarer Verrat und etwas zerbricht. Ist es ein Herz? Eine Freundschaft? Gar eine Seele?

Jedenfalls findet Max eine neue Ausprägung ihrer Zeitreisefähigkeit und beginnt sich zu fragen, ob nicht ihr Herumpfuschen in der Zeit diesen Tornado überhaupt erst gerufen hat … und am Ende, nun, da ist alles (wortwörtlich) ganz anders als es gestern noch war.

„Der Flügelschlag eines Schmetterlings kann am anderen Ende der Welt einen Tornado auslösen“. Das ist die Kurzversion, die wir vermutlich alle schon mal gehört haben. Es gibt auch längere Versionen davon (lest mal bei Bradbury nach) und in Episode 3 tun sich menschliche Abgründe auf und auch der Drang sich dagegen aufzulehnen.

Mittlerweile fällt mir auf, wie leidend eigentlich Max die ganze Zeit über spricht und es nervt ein wenig. Dafür wird Chloe menschlicher und greifbarer, wenn auch nicht sympathischer. Dafür zieht die Story an und wir erkennen das wahre Ausmaß von Max‘ Fähigkeiten.

Fazit: Spannend mit fiesem Cliffhanger. Trotzdem irgendwie eine klassische Mittelepisode. Was man üblicherweise noch nicht weiß, wenn man das Spiel zu ersten Mal spielt, aber genau hier beginnt der Weg zum Grande Finale und das geht (von einer kurzen Verschaufpause in Episode 4) ruckzuck.

Episode 4: Dark Room

Nach einer kurzen, ruhigen und dramatischen Verschnaufspause mit einem – vermutlich tragischen Ende (die Statistiken sagen 50:50) geht es zurück ans Eingemachte. Die Suche nach Rachel Amber nimmt Fahrt auf. Das erste Mal kommen (einfache, aber coole) Kombinationsfähigkeiten zum Zuge und eine Enthüllung jagt die Nächste. Chloe kriegt sich wieder ein und – man glaubt es kaum – auf einmal ist sie sympathisch. Ihre Austicker in der letzten Episode hatten wohl etwas Reinigendes.

Jedenfalls geht es jetzt Schlag auf Schlag und Richtung Ende werdet ihr mit ein paar Konsequenzen aus frühreren Episoden leben müssen (wer hält Max für eine Freundin und wer hasst sie?) und das Ende, Puh. Das Ende haut so richtig rein. Die Auflösung der sehr kurzen Momente nach dem Abspann der Vorepisoden (Mappen mit Namen) wird euch von den Socken hauen und wenn ihr dann wisst, wer dahinter steckt, nun … puh, sag ich nur. Puh.

Fazit: Jetzt geht die Post ab. Die Handlung zieht an. Kombinationsgabe ist gefragt und alles steuert in Richtung Auflösung. Die doch sogar tatsächlich bereits am Ende dieser Episode kommt. Und gleich noch mit einem Tritt in die Tränendrüsen dazu. Was kann jetzt noch kommen?

Episode 5: Polarized

Ziemlich viel kann noch kommen, denn diese Episode ist dramaturgisch großartig gemacht. Zuerst müsst ihr aus der Situation am Ende von Episode 4 entkommen und dann fühlt sich die Sache wie ein Epilog an, nur damit ihr kurz darauf erkennen müsst: Gar nichts ist gelöst. Überhaupt nichts. Dann versucht Max wieder und wieder zurückzugehen und alles irgendwie zu einem guten Ende zu bringen, dabei wird eine Sache immer klarer: Mit der Zeit spielt man nicht. Und wenn doch, dann spielt sie zurück.

Gerade eine Sequenz in welcher ihr durch das zerstörte Arcadia Bay marschiert und dort all die Menschen trefft, die euch jetzt vier Episoden lang begleitet haben, hat mich ziemlich berührt. Bis vor dieser Szene war mir völlig klar wie „mein“ Ende gewesen wäre, aber hier wurde mir nochmals gezeigt, was alles zu Arcardia Bay gehört. Welche Menschen, welche Beziehungen und welche emotionalen Bindungen. Sogar ehemals nicht so sympathische Personen haben hier ihren Moment im Rampenlicht, der sie sympathisch macht.

Alles das, um euch eure Entscheidung am Ende so richtig schwer zu machen. Ihr ahnt, worum es geht. Und auch Max und Chloe erkennen schließlich, worum es geht und warum der Tornado ausgerechnet auf Arcadia Bay zusteuert. Und dann … dann war es vorbei …

Fazit: Wirklich toller, gelungener Abschluss, der nochmals alle Register zieht.

Gesamte Staffel:
In Summe muss ich festhalten, dass ich hin und wieder gehört habe, dass die Charaktere von „Life Is Strange“ Abziehbilder sind und eindimensional, quasi überhaupt alles vor Klischees trieft. Das stimmt. Das stimmt für Leute, die nur die erste Episode gespielt haben. Denn alle anderen sind mit den Figuren gewachsen, haben diese kennengelernt und erkannt, dass nicht alles so oberflächlich ist, wie es anfangs den Anschein hat. Aber so sind Anfänge nunmal. Man lernt Menschen kennen und presst sie in Schubladen. Und erst wenn man einen zweiten und vielleicht sogar dritten Blick risikiert, erkennt man, dass da jemand unter diesen Schichten ist, der oder die man vieleicht sogar mögen kann. Nur trauen sich die wenigsten hinter ihren eigenen Mauern hervor und noch weniger nehmen sich die Zeit einen Blick hinter die der anderen zu werfen.

Ist es euch aufgefallen? Ich habe von Menschen geschrieben. Denn genauso fühlen sich die Figuren von „Life Is Strange“ nach den 5 Episoden an. Es war eine großartige Reise, mit kleinen Hängern, einem Grafikstil, den man mögen muss und teilweise ein wenig gestelzten und peinlichen Dialogen, aber in Summe war es eine Reise die eines gemacht hat. Uns Spieler*innen wachsen lassen.

Und das muss man erst mal von einem Spiel behaupten können. Danke „DontnoD“. Das war eine Erfahrung, die auf alle Fälle was Besonders darstellt.

Oder wie es ein YouTube-Kommentar in Kurzform perfekt zusammenfasst:
Episode 1: Typisches Highschooldrama, gähn
Episode 2: Ähmmm…. was ist …?
Episode 3: Was. Zum. Teufel.
Episode 4: WAAAAAAAAAAAS?
Episode 5: Es … es … es tut mir so leid …

Notiz am Rande: Dass Chloes Äußeres sehr stark an die Optik einer gewissen „Emma“ aus einem Comic (und auch Film) namens „Blue Is The Warmest Colour“ erinnert, kann (DontnoD sind ja Franzosen) auch kein Zufall sein, oder?

„Life Is Strange“ bekommt von mir 9 von 10 möglichen, die Zeit durch die Zeit verändernde, Punkte.


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