Candyman (2021 Filmkritik)

Der Künstler Anthony (Yahya Abdul-Mateen II) und seine Partner Brianna (Teyonah Parris) ziehen in eines der neuen Luxus-Apartments in Carbini Green. Vor Jahren hat dort der „Candyman“ seine Runde gedreht und Opfer gefordert. Heute ist er längst vergessen. Nicht vergessen jedoch, ist Helen Lyle (Virginia Madsen), die damals ein Kind entführt hat und in letzter Konsequenz auf einem Scheiterhaufen dafür büßen musste. Oder so erzählt man sich zumindest.

Anthony stößt eines Tages auf diese Legende und findet neue Inspiration in ihr, sein Thema, die Diskriminierung der Schwarzen, künstlerisch zu bearbeiten. Aber nach und nach nimmt die Legende um den Candyman bedrohliche Gestalt an. Und als jene in Anthonys Umfeld zu sterben beginnen, welche – zum Teil unfreiwillig – Teil des Diskriminerungs-Problems sind, da wird klar, dass „etwas“ hinter dem Spiegel ist. Und es heißt nicht „Alice“ …

Die Trailer zur Neufassung/Fortsetzung der Candyman-Reihe (die lose auf einer Kurzgeschichte von Clive Barker beruht) war ja ziemlich gut. Vor allem die Optik und die verstörenden Schattenbilder machten mächtig Eindruck auf mich. „Der wird ziemlich sicher gut“, dachte ich mir. Und jetzt habe ich den Film endlich gesehen.

Ich weiß allerdings nicht, ob es ein guter Film geworden ist.

Oder anders formuliert: Ob euch der Film gefällt hängt in diesem Fall extrem von eurer Erwartungshaltung ab, denn Candyman im Jahr 2021 und unter der Reige von Nia DaCosta und produziert von Jordan Peele („Get Out“ oder „Us„) ist vor allem eins: Wenig subtil in seiner Botschaft. Klares Thema ist die Gentrifizierung (wer nicht weiß, was das ist, der oder die möge „hier“ klicken) von Stadtteilen und die damit zusammenhängenden sozialen Probleme. Das mag in ähnlicher Form bereits im 1992-Original so gewesen sein (ich habe den schon ewig nicht mehr gesehen), aber damals war ich wohl zu jung, um das zu begreifen. In der Version von 2021 kann man es nicht „nicht begreifen“. Oder wenn doch, dann ist man vermutlich ohnehin zu jung für diesen Film.

Begreifen ist das eine. Mögen ist das andere. Denn die wahre Bedrohung in „Candyman 2021“ geht weniger vom Candyman aus, sondern von einem System, welches Druck auf seine Teilnehmerinnen und Teilnehmer ausübt. Und zwar auf mehreren Ebenen. Das Thema Gentrifizierung betrifft auch Österreich und anders als im Film dargestellt nicht nur Afro-Amerikaner, aber das ist eine andere und längere Geschichte. Die Bedrohung geht also weniger von der Figur „Candyman“ aus, wie schon erwähnt, sondern von den neuen, hohen, teuren Häusern. Von einer „Elite“, die „Geschmack hat“ und andere nur danach beurteilt, ob man durch sie „nach oben kommt“ oder nicht. Von der Polizei, die ja grundsätzlich mal zuerst schießt und dann Fragen (oder Bedingungen) stellt, will ich jetzt gar nicht anfangen.

Selten wurde mir bereits während des Zusehens so klar vor Augen geführt, dass ich hier einen Film sehe, der metaphorisch das Leben der afroamerikanischen Bevölkerung in den USA zeigt. Und die vorherrschende Emotion ist Wut über die Zustände. Candyman ist in dieser Version nämlich tatsächlich eine Art „Rachefantasie“. Nicht mehr und nicht weniger. Irgendwie musste ich an alte Geschichten über „Voodoo“ in der Sklavenzeit denken und ähnliche Dinge.

In Peeles Welt ist nämlich „Candyman“ nicht der Täter, sondern der Vollstrecker, der Rächer, jener, der alle, die der schwarzen Bevölkerung (egal in welcher Form und egal, ob die Täter selbst schwarz sind) Unrecht tun oder – noch schlimmer – sie nicht ernst nehmen, zur Rechenschaft zieht. Und das mit Hakenhand, Bienen und den Spiegeln als Portal.

Der Film ist vor allem „audiovisuell“. Und wer jetzt meint, ja klar, jeder Film ist das, sollte mal fertig lesen: DaCosta spielt sich immer wieder mit Dunkelheit, in welcher ihr nur die Geräusche hört und euch selbst ein Bild machen könnt, was passiert ist. Ihr seht selten was der Candyman macht, sondern ihr bekommt es indirekt vermittelt (zB wie im Trailer durch die Dame am WC, die unter dem Türspalt durchguckt). Oder die Kamera (eine geniale Idee) fährt von der Glasfront des Wohnhauses weg und während rundherum die anderen „Wohnkubizes“ ins Bild kommen wird die Bewohnerin vom „Candyman“ ermordet und zieht auf genau dieser Glasfront eine Blutspur, was wirklich, wirklich unangenehm anzusehen ist.

Unter Nia DaCosta Regie wird eine bedrohliche Atmosphäre aufgebaut, die visuell toll eingefangen wird und auch die simple, aber verstörende Musik tun ihr übriges, um die Zuseherinnen und Zuseher daran zu erinnern, dass da immer etwas unter der Oberfläche lauert. Die wahren Brutalitäten passieren jedoch zwischenmenschlich und teilweise sogar ohne böse gemeint zu sein. Was die Sache ja noch schlimmer macht.

Fassen wir also zusammen: Ist der Film ein Statment gegen Polizeibrutalität gegen Schwarze? Ist der Film eine Rachefantasie? Ist er ein Statement gegen die Rassendiskriminierung in den USA („den“ Candyman gibt es im Film nicht, tatsächlich hat quasi jede Epoche ihren eigenen, aus einem Unrecht entstandenen Candyman)? Ist er ein Statement gegen Gentrifizierung?

Was auch immer davon zutrifft (vielleicht auch alles auf einmal): Wer sich einen Horrorfilm mit übernatürlichem Bösewicht erwartet, der brutal und heftig Leute abschlachtet, der oder die ist hier völlig falsch. Ja, es fließt Blut. Ja, teilweise ist der Film brutal. Aber das sind tatsächlich Nebenschauplätze. Der wahre Horror in diesem Film liegt in der sozialen Struktur der Gesellschaft die er abbildet verwurzelt.

Und wer diesen letzten Satz oberhalt kompliziert findet kann gleich einen Bogen um den Film machen, denn dann ist er mit Sicherheit nichts für euch.

„Candyman 2021“ bekommt von mir 6,5 von 10 möglichen, beeindruckende Bildsprache in eine verkopftes, aber ambitioniertes Drehbuch packende, Punkte.


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