Oldies but Goldies: Strange Days (Filmkritik)

Lenny (Ralph Fiennes) ist noch immer nicht über die Trennung mit seiner Ex Faith (Juliette Lewis) hinweggekommen. Aber es gibt da eine nette Vorrichtung, eine Art Headset, die es einem erlaubt einerseits Erinnerungen aufzunehmen und diese andererseits wieder abzuspielen und zeitgleich genau die Emotionen zu spüren, die man zum Zeitpunkt der Aufnahme gespürt hat. Und das Ganze ist nicht nur auf eigene Erinnerungen beschränkt. Klar, dass sich Lenny ein wenig in alten Aufnahmen mit Faith verliert. Und dabei auch mehr oder weniger sich selbst.

Als eines Tages aber eine Aufnahme bei ihm landet, die zeigt wie der schwarze Rapper Jeriko-One erschossen wird, da dreht sich sein Leben um, denn nun wird er gejagt, um die Sache zu vertuschen. Und irgendwie hängt das alles mit seinem Umfeld zusammen. Hilfe bekommt er von der Fahrerin Mace (Angela Bassett).

Und ehe sich die beiden versehen rutschen sie am Abend vor Silvester 1999 in eine Verschwörung grandiosen Ausmaßes …

Ja, meine Serie an Filmen, die ich schon ewig nicht mehr gesehen habe, aber immer noch in guter Erinnerung behalten habe, ist noch nicht zu Ende. Dieses Mal ist mir „Strange Days“ untergekommen. Der Film ist 1995 produziert worden und die Regie hat Kathryn Bigelow über, die auch Filmklassiker wie „Near Dark“ oder „Point Break“ mit Kurt Russel und Keanu Reeves oder „Blue Steel“ zu verantworten hat. Später hat sie dann auch „The Hurt Locker“ und „Zero Dark Thirty“ gemacht. Kurzfassung: Die Frau weiß, wie man gute Filme macht. Sicher hat bei „Strange Days“ auch mitgeholfen, dass ihr damaliger Partner James Cameron einerseits am Drehbuch mitgeschrieben hat (das kann er halt einfach der James Cameron) und außerdem wurde extra eine Kamera erfunden (ratet von wem? Wer erfindet gern Kameras?), die eine Sicht aus der Ersten Person (also First Person im Neusprech und auf Englisch) erlaubt hat, die leicht genug war, dass sich die Schauspieler:innen auch damit bewegen konnten. Das reißt im Jahr 2023 zwar niemanden mehr vom Hocker, aber 1995 war es ein Wahnsinn.

Was allerdings immer noch vom Hocker reißt, ist die Tatsache, dass dies nie zum „Gimmick“ wird, sondern trotz des (damals) coolen Effekts eben immer wichtiger Teil der Handlung war und kein Selbstzweck. Und tja, das Drehbuch und die Story sind heute immer noch genial und (leider) nach wie vor genauso aktuell wie for knapp 30 Jahren. Da hat sich in Bezug auf Soziale Gerechtigkeit nicht so viel getan. Viele Themen, die heute auch noch – teilweise sogar mehr denn je – Thema sind, werden bereits in „Strange Days“ angesprochen.

Schade, dass der Film nur für eine kurze Weile (zumindest in meinem Freundeskreis) ein Kultfilm war, denn viel von dem was thematisiert wird ist immer noch brandaktuell. Ehrlich: Wenn ihr den Film seht und der Meinung seid, er wäre 2022 gedreht worden, dann würdet ihr das glauben. Das liegt unter anderem daran, dass „Strange Days“ einfach auch in vielen Belangen seiner Zeit voraus war. Egal, ob wir von den technischen Ideen reden, den Verschwörungen, dem Rassismus, oder – und jetzt kommt es – starken Frauenfiguren. „Strange Days“ hat alles und auch noch nahezu perfekt umgesetzt.

Die schauspielerischen Leistungen aller Involvierten ist über allen Zweifel erhaben. Ralph Fiennes („Harry Potter„, „The King’s Man„) reißt mit, Juliette Lewis („From Dusk Til Dawn„) ist ambivalent und sexy wie nie und Angela Bassett („Survivor„)als Mace das Herz des Films und in meinen Augen die wahre Hauptfigur. Hier passt schlichtweg alles zusammen. Regie, Kamera, Schnitte, Story – der Film wird euch kalt erwischen, mitreissen und am Ende werdet ihr mit offenem Mund dasitzen.

Das Tüpfelchen auf dem I ist dann noch der geniale Soundtrack, allen voran das von Juliette Lewis gesungene „Hardly Wait“. Einfach ein Hammer. Der Soundtrack ist bei uns monatelang auf jeder Feier rauf und runter gelaufen. In Summe also ein Film, der meiner Generation zu dieser Zeit gerade Recht gekommen ist und alles in sich vereint, wie wir (in meinem Freundeskreis) damals die Welt gesehen haben. Garniert mit grandiosen Schauspieler:innen und einem Soundtrack, der die Dreckigkeit der Welt gekonnt vertont hat und die Rebellion in einem selbst anfeuerte. Und mit einem richtig coolem, weil unerwarteten Ende.

Alles in allem kann ich nur sagen: Wer dieses Filmjuwel bis dato nicht gesehen hat: Holt das sofort nach. Es gibt wenig Filme, die gut altern. Aber es gibt noch weniger Filme, die mit der Zeit besser, weil relevanter, werden. Das hier ist einer der weniger, bei denen genau das zutrifft.

„Strange Days“ bekommt von mir 10 von 10, seiner Zeit weit voraus gewesen seiende, Punkte.


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