Let Me In (Filmkritik)

Wir schreiben das Jahr 1983. Das Leben des zwölfjährigen Owen (Kodi Smit-McPhee) in Los Alamos, New Mexico könnte nicht trister sein. Er hat keine Freunde, seine Eltern lassen sich gerade scheiden und in der Schule wird er ständig Opfer einer kleinen Schlägertruppe. Als er wieder einmal seine Nachbarn mit dem Fernrohr beobachtet, fällt ihm ein barfuss im Schnee laufendes Mädchen namens Abby (Chloe Grace Moretz) auf, das gerade mit seinem Vater in eine Wohnung neben Owen übersiedelt.

Langsam aber sicher entwickelt sich eine starke Bindung zwischen den beiden Außenseitern. Als Owen klar wird, dass es sich bei Abby keineswegs um eine ganz normale junge Dame handelt, ist er bereits emotional viel zu tief drinnen in der Geschichte. Eines ist dabei klar: entscheidet er sich für Abby, kann er nie wieder zurückkehren in sein normales Leben, doch will er das denn überhaupt noch?

Let-Me-In

„Let the Right One In“ wurde 2004 vom schwedischen Autor John Ajvide Lindqvist geschrieben, 2008 brachte sein Landsmann Tomas Alfredson die gleichnamige, hochgelobte Verfilmung dazu auf die Leinwand. Schon zwei Jahre später folgt nun das amerikanische Remake. Warum einen sehr guten Film nochmal verfilmen nur damit es auch eine Version der Amerikaner gibt? Keine Ahnung, halte ich im Normalfall auch für unnötig, in diesem Fall war aber aus mehreren Gründen mein Interesse geweckt.

Regisseur Matt Reeves (Cloverfield) hat bereits vor der Veröffentlichung des schwedischen Filmes sein Interesse an dem Stoff bekundet und sich für das Erwerben der Rechte eingesetzt. Außerdem konnte er den Autor des Buches für sich gewinnen, da er keine seiner Ideen bzw. Entscheidungen bei diesem Film ohne den Segen vom Schriftsteller verwirklichen wollte. Als Resultat war Lindqvist nun nicht nur über eine tolle Adaption seiner Geschichte glücklich, sondern gleich über zwei. „Let Me In“ sein eine dunkle und brutale Liebesgeschichte, ein wunderschönes Kinoerlebnis und eine respektvolle Adaption des Romans. Ich traue mich daher dem Autor in keiner Weise zu widersprechen, obwohl ich weder das Buch gelesen noch den Originalfilm gesehen habe.

Für mich ist „Let Me In“ einer dieser wenigen schrecklich schönen Filme geworden. Ein Drama, eine Liebesgeschichte, ein Horrorfilm und ein Thriller gepaart zu einer emotionalen Achterbahnfahrt. Hier wirkt jede einzelne Einstellung überlegt und es steckt einiges mehr drin, als zu Beginn an der Oberfläche sichtbar ist. Einen Film mit zwei so jungen Darstellern, der sich gleichzeitig so erwachsen anfühlt, habe ich in dieser Form noch nie gesehen.

Owen als tragische Hauptfigur funktioniert dabei großartig. Er ist klein und schmächtig, die gemeinen Jungs in der Schule nennen ihn ein Mädchen, schlagen und demütigen ihn wo es nur geht. Freunde zu haben kennt er nicht. Sein Vater hat nie Zeit für ihn, seine Mutte reagiert auf die laufende Scheidung mit erhöhtem Alkoholkonsum. Dass das Gesicht der Mutter in keiner einzigen Szene ganz oder nur von hinten zu sehen ist, ist filmisch ein gut gemachter Trick und macht so die allgegenwärtige Einsamkeit in Owens Leben gleich noch unerträglicher.

Der vierzehnjährige Kodi Smit-McPhee liefert hier nach „The Road“ wohl die bisher beste Performance seiner noch jungen Karriere ab. Ich kenne nicht viele Schauspieler, die in seinem Alter so eine Rolle annehmen würden und auch noch so glaubwürdig spielen könnten. Sogar wenn er mit einer Maske verkleidet vor dem Spiegel steht, mit einem Messer herumfuchtelt und „na, gefällt dir das kleines Mädchen“ schreit, fühlt man mit ihm und hat als Zuschauer nicht den Anspruch, sich von seiner Person zu distanzieren.

Dann tritt Abby auf den Plan. Nach außen hin jung, unschuldig, introvertiert, sie geht ohne einen Plan durchs Leben und reagiert nur auf das was da kommen mag. Innerlich gehört sie jedoch zu den verschlagensten und unheimlichsten Vampiren, die jemals ihr Unwesen auf der Leinwand treiben durften. Chloe Grace Moretz hab ich ja seit ihrer Hit-Girl Performance in „Kick-Ass“ sowieso schon zu meiner Topschauspielerin von Morgen erklärt. Je mehr ich über ihre Darstellung der Abby nachdenke, umso mehr bin ich beeindruckt und verstört. Hat Abby Owen von Anfang an als neuen Partner auserkoren? Geht es ihr eigentlich gar nicht um Liebe sondern beobachten wir als Zuschauer hier nur die perfekt manipulativ geplante Geburt eines Serienmörders?

Diese Frage lässt Regisseur Reeves unbeantwortet, was natürlich zu heftigen Diskussionen nach Betrachtung des Filmes anregt. Der alte Mann, den Abby zunächst nur als den Vater bezeichnet – es wird angedeutet, dass er bereits seit seiner frühen Jugend mit ihr unterwegs ist und Blut für ihr Überleben beschafft. Welche Beziehung genau sie aber über all diese Jahre gehabt haben, wird nie erklärt bzw. gezeigt und regt ebenso zum Spekulieren an.

Neben den perfekten Schauspielern und der bewundernswert nuancierten Regie, tragen auch die wunderbaren Bilder und deren triste aber trotdem irgendwie warme Farbgebung und der subtile Score von Michael Giacchino (Star Trek, Up, Ratatouille) zu dem Gesamtbild, hier ein kleines Meisterwerk gesehen zu haben, bei. So ganzheitlich packend wird man filmischerweise eben nur ganz selten unterhalten, hier empfindet man Liebe, Angst, Freude, Hass, Einsamkeit, Wut, fühlt sich stark und schwach zugleich und ist sich am Ende nicht sicher, ob das Gefühl nun echt war oder nicht.

Let Me In bekommt von mir 9/10 unglaublich facettenreiche Empfehlungspunkte.


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