Fallout (Serienkritik)

Lucy (Ella Purnell) lebt nach der atomaren Apocalypse in einem Bunker. Dort fließt das Leben geordnet und geregelt vor sich hin. Sie sieht dem aktuellen Tag mit Freude entgegen, denn heute soll sie heiraten. Wer genau der Angetraute ist, nun, das wird sich zeigen. Aber einiges läuft schief. Am Ende betritt sie Oberfläche auf der Suche nach ihrem Vater, denn der wurde entführt.

Cooper (Walter Goggins) hat bereits gelebt, als die Welt noch nicht untergegangen war. Und er lebt immer noch. Als „Ghoul“. Eine Mutation, die ohne bestimmte Drogen immer Gefahr läuft zu einer wilden Bestie zu werden. Allerdings hält er sich mit Auftragsjobs als Kopfgeldjäger über Wasser und Gewalt ist seine bevorzugte Lösung.

Maximus (Aaron Moten) dagegen ist dem „Brotherhood Of Steel“ beigetreten. Einer Gruppe von Supersoldaten, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, Artefakte aus der „Welt davor“ zu bergen und aufzubewahren. Aber auch hier geht etwas schief und anstatt als Knappe mit seinem Ritter unterwegs zu sein findet er sich relativ rasch in einer Rüstung wieder. Und er hat noch viel zu lernen.

Und die Welt auf der Oberfläche ist anders als erwartet. Ja, es gibt Leben. Aber es ist rauh, hart und voller seltsamer Charaktere. Und voller ungeschriebener Regeln, die Lucy erst lernen muss.

Die Skepsis war groß, das ist sicher. Auch wenn man anmerken muss, dass die Marke „Fallout“, die ja doch schon ein paar Jahrzehnte auf dem Buckel hat, genug Spielraum für viele Geschichten bietet, so ist die Quintessenz der Spiele ja doch eher immer auf eine Randgruppe zugeschnitten gewesen (zumindest bis „Fallout 3“). Nämlich tiefschwarzer, makaberer Humor in einer dystopischen Welt, die mit absolut skurrilen Figuren gefüllt ist und die den Spieler:innen große Handlungs- und Entscheidungsfreiheit bot. Die Hauptgeschichten waren jetzt nicht immer so der Hammer, aber die Welt war lebendig, hat wirklich viele kleine, coole Geschichten erzählt und – nochmals – der schwarze Humor, der Tragik und Komödie oftmals perfekt an der Grenze getroffen hat, hat die Serie doch immer beliebter gemacht.

Wie sollte es also gelingen, dass eine Spielreihe, deren Hauptgeschichten nicht so prickelnd waren, in einer nicht interaktiven Art und Weise das Interesse der Zuseher:innen aufrecht hält, wo doch genau das – die Freiheit, seine eigene Geschite zu erleben – ein so zentraler Bestandteil der Marke ist?

Ich kann vorausschicken, dass den Macher:innen das perfekt gelungen ist. Und zwar durch die gleichen zwei Zutaten: Absolut schwarzer Humor und starke Figuren.

Das Herz der Geschichte ist, wie zu erwarten, Lucy, perfekt gespielt von Ella Purnell (großartig auch als Jinx in „Arcane„, „Die Insel der besonderen Kinder„). Das ist eine Frauenfigur, die man einfach nur liebhaben kann. Gut meinend, gebildet, aber in dieser für sie neuen Welt anfangs ziemlich verloren, muss sie rasch lernen, wie man überlebt. Und das ist halt meistens … mit Gewalt. Und nur niemanden trauen. Die Entwicklung von der naiv-freundlichen Vault-Bewohnerin zu einer – immer noch sehr freundlichen – Überlebenskünstlerin auf der Oberwelt ist schräg und witzig und brutal genug, um ihr bei allem was passiert und was sie macht, mit Freude zuzusehen. Und Ella Purnell füllt Lucy richtig mit Leben. Das liegt natürlich auch an ihrer Optik: Vielleicht kommt es nur mir so vor, aber wenn diese Augen nicht Neugier auf die Welt und leichte Naivität ausstrahlen, dann weiß ich auch nicht. Super Casting, super Figur – und coole Storyline.

Die Story vom „Ghoul“ ist deshalb interessant, weil er aufgrund seiner langen Lebenszeit und dem, wer oder was er vorher war, einfach wirklich viel zur Hintergrundstory beiträgt und außerdem ist er ein kompromissloser Sch***kerl, der nicht wie so oft in anderen Serien das Herz am richtigen Fleck hat. Er ist was er ist. Ja, es gibt Momente, wo so etwas wie Herz durchscheint, aber diese sind wirklich rar und man weiß nie, ob nicht doch was anderes dahinter steckt. Bis zur letzten Folge. Da weiß man dann, was ihn am Laufen hält. Und Walter Goggins (bekannt aus vielen, vielen Filmen und immer ein Charaktergesicht – zum Beispiel „Ant-Man and the Wasp“ oder „Predators“ oder „The Hateful Eight“ oder „Tomb Raider“ oder oder oder) ist ebenfalls perfekt gecastet. Die Doppelrolle Ghoul und Cooper (in den Rückblenden) meistert er im Schlaf und er schafft es wirklich, der Figur trotz all ihrer Brutalität was Menschliches zu geben.

Die Story von Maximus war für mich die am wenigsten interessante, aber der er die Wege mit Ghoul und Lucy immer kreuzt, passt sie in die Serie. Auch das „Brotherhood Of Steel“ spielt in der übergeordneten Story eine wichtig Rolle und – wie es aussieht – wird auch Maximus in der nächsten Staffel eine wichtige Rolle spielen. Aaron Moten macht seine Sache wirklich gut. Gerade die Szenen in den er panisch wird oder jene, die wirklich makaber sind, funktionieren großartig.

Auch erwähnen muss ich Moises Arias, der mir zuerst in „The Kings Of Summer“ aufgefallen ist und den seitdem immer wieder mal in Nebenrollen in Filmen sehe – und er ist immer super. Und über Kyle McLachlan muss ich, hoffentlich, nicht viel sagen. Wer ihn nicht kennt: David Lynch’s Dune. Twin Peaks. Einfach auch immer gut der Mann.

Was die Serie aber vor allem so toll macht ist eben der schwarze Humor, der einerseits oft aufgrund der Situationen entsteht. Aber die Inszenierung steht dem ganzen in nichts nach. Ohne groß zu spoilern: Zu sehen wie eine ganze Hochzeitsgesellschaft abgeschlachtet wird (anders kann man das nicht nennen) und dabei zeitgleich eine bekannte Schnulze aus den 50igern zu spielen, während wichtige Momente in Zeitlupe gezeigt werden … das ist tastsächlich absolut schräg witzig und richtig gut gemacht.

Herzliche Gratulation an alle Beteiligten – das hier fängt der Herz von „Fallout“ wirklich gut ein, hat einen super Cast, ein Gespür für die Balance zwischen mitreissend, spannend und schlichtweg irre, coole Figuren und ein Production Design, dass zeigt, dass die Macher:innen „Fallout“ kennen, ernst nehmen, es aber auch nicht übertreiben wollen.

Staffel 2 ist scheinbar bereits genehmigt. Finde ich gut.

„Fallout“ bekommt von mir 8,5 von 10 möglichen, sicher zu den Top 5 der besten Videospiel-Verfilmungen gehörende, Punkte.


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