Wir sind nicht allein im Weltraum. Genau genommen ist das Weltall sogar ziemlich bevölkert. Wir haben es nur nicht mitbekommen, zumindest nicht bis die „Masseportale“ entdeckt wurden, die uns die Reisen zu anderen Welten ermöglicht haben. Und das hat dann gleich mal zum Krieg mit den Turianern geführt. Der wurde dann zwar vom „Galaktischen Rat“ unterbunden, denn neuen Völkern sollte man zumindest ein bisschen Frieden gönnen und auch wenn man skeptisch ist, ein bisschen Mitspracherecht ist ja okay. Außerdem mag man sich im Summe auch unter den bereits etablierten Völkern nicht immer.
So haben zum Beispiel die Quarianer mechanische Diener namens Geth gebaut, die dann aber ein Bewusstsein entwickelt und sich gegen ihr Schöpfer gewandt haben, was dazu führte, dass die Quarianer nur noch mit 100%igen Schutzanzügen herumlaufen können und eine Nomadenflotte ihr eigen nennen, die sie mal gut und mal weniger gut am Laufen halten, während sie überlegen, wie sie es schaffen können jemals wieder ihre Heimatwelt zu besiedeln.
Oder die Salarianer, welche in einem Krieg gegen die spinnenartigen Rachni ein primitives Volk mit Waffen versorgt hat, um dieses als Stoßtruppen einzusetzen. Dumm nur, dass diese – Kroganer genannten Krieger – dann mit dem Kriegführen nicht aufgehört haben. Was dazu geführt hat, dass man ein ganzes Volk fast zwangssterilisiert hat. Und dann gibt es noch die Turianer mit der besten Armee in der Galaxis und die Asari, welche Zwitterwesen sind und eigentlich die wahren Herrscher. Dazwischen gibt es noch Volus, Hannar, Drell und viele andere.
Wie gesagt: Wir sind nicht allein im Weltraum.
Aber als sich die Chance ergibt, einen Menschen, konkret Commander Shepard, in den Rang eines Spectre (intergalaktische Superagenten mit der Lizenz zum Töten) zu heben, da beginnen sich Rädchen zu drehen. Denn einer der Spectre scheint abtrünnig geworden zu sein und ein Artefakt einer alten Rasse namens Protheaner könnte sich als Warnung vor der Rückkehr einer unglaublich tödlichen Bedrohung allen organischen Lebens herausstellen …
Sagen wir es mal einfach so wie es ist: So etwas wie Mass Effect 1 bis 3 wird es kein zweites Mal geben. Die Geschichte rund um Shepard, seine (oder ihre) Begleiter und die Bedrohung durch die Reaper kann nicht wiederholt werden. Zum einen war es ein Novum, dass sich Entscheidungen aus einem Jahre alten Spiel auf den Verlauf eines aktuellen Spiels auswirken (kam meiner Ansicht nach in dieser Form auch nie wieder so vor), zum anderen war und ist es erstaunlich wie gut durchdacht das gesamte politische System in der Welt von Mass Effect ist. Die gesamte Galaxis (und alles darüber hinaus) fühlt sich an als wäre es schon lange vor „uns“ dagewesen und wird es auch nach „uns“ (wenn wir nicht versagen) noch sein.
Hut ab – nicht umsonst gibt es eine Menge Comics und Bücher, welche die Geschichte und Geschichten vertiefen. Bioware hat hier einfach unglaublich Großartiges geleistet. Da gibt es keine Diskussion.
Und jetzt, 2021 kommt das gesamte Paket (also alle drei Teile inklusive fast aller Zusatzinhalte) in einer grafisch überarbeiteten Fassung als „Legendary Edition“ nochmals in den Handel. Als jemand der die drei Teile mehrfach(!) durchgespielt hat, muss ich anmerken, dass ich mir schon die Frage gestellt habe: Wozu denn? Hab ich doch schon alles mehrmals gespielt.
Und dann hab ich sie doch gekauft.
Und dann bin ich 120 Stunden später wachgeworden, mit Tränen in den Augen, einem Zittern der Unterlippe und dem absolut dringenden Bedürfnis nochmals von vorne anzufangen, weil ich meine Zeit mit diesen alten Freunden einfach unglaublich genossen habe. Selbst zum wiederholten Male.
Aber vielleicht ein paar Schritte zurück und die doch noch vorhandenen Nachteile zuerst: Grafisch ist das erste Mass Effect auch nach der Überarbeitung nicht 1A. In den ersten Stunden kam es zu abgehakten Animationen, Dialoge sprangen über Zeilen und ich erinnerte mich stark an die Berichte, die ich über „Mass Effect Andromeda“ gelesen, wenn auch nicht selbst erlebt, hatte. Ich war ein wenig sauer, weil ich die ganzen guten Kritiken nicht verstehen konnte. Ich war – ganz ehrlich – wirklich enttäuscht. Auch fiel mir auf, wie sehr mit zweierlei Maß gemessen wird, denn wenn man bedenkt, wie sehr zum Beispiel „Dragon Age 2“ zerfetzt wurde, weil Bioware manche Gebiete immer wieder verwendet hat, dann frage ich mich, wo diese Kritiker:innen waren, als das erste Mass Effect herauskam? Größter Kritikpunkt: Die Mako-Steuerung. Ehrlich? Die Steuerung war nicht das Problem, aber warum man dutzende Welten erschafft, die nur aus spitzen Bergen bestehen, wenn die Steuerung ist wie sie ist, das verstehe ich nicht. Und alle, ausnahmslos alle(!) Nebenmissionen enden in einer von drei verschiedenen Gebäudearten. Dutzende Male. Hat nur nie jemand gestört scheinbar. Ich finde das auch 2021 noch immer zäh.
Und dann war ich auf Feros (eine der Hauptmissionen) und alles andere war wie weggeblasen. Und dann auf Virmire. Und dann auf Ilos. Und so ging es dahin und Teil 1 war vorbei. Ja, bei Mass Effect 1 gab und gibt es noch immer viel Verbesserungspotential.
Und dann startete ich Mass Effect 2.
Und der Sprung vom ersten Teil auf den zweiten Teil ist ein Wahnsinn. Das Gameplay ist weit mehr in Richtung Action ausgelegt, aber das passt soweit auch, denn die Inszenierung wurde ebenfalls dynamischer und das ist auch der große Wurf von Teil 2. Die Inszenierung. Bioware hat verstanden, dass das große Plus ihrer neu erschaffenen Welt die Welt und ihre Bewohner:innen sind. Und im zweiten Teil haben sie eine Truppe an Charakteren erschaffen, die einfach zum größten Teil wirklich Spaß machen und mit denen man wirklich gern Zeit verbringt. Die Story an sich ist, tja, da scheiden sich die Geister, aber wenn der Weg das Ziel ist, dann haben Bioware absolut großartige Arbeit geleistet. Gerade am Ende, als es zu einer Suizidmission kommt deren Ausgang bzw. deren Überlebende ihr bestimmt, wird euer Herz pumpen wie selten zuvor. Warum? Weil euch die meisten eurer Mitstreiter:innen einfach am Herzen liegen werden.
Und ein paar der besten Charaktere, die ich je in Videospielen gesehen haben, kommen aus diesem Spiel. Sicher, ein Teil davon baut auf den Charakteren vom ersten Teil auf – so zum Beispiel Tali, die Quarianerin, die man einfach mögen MUSS -, aber auch die Neuzugänge sind einfach toll. Mein absolute Favorit ist und bleibt Mordin Solus, der allein in der Art wie er spricht, denkt und sich dabei bewegt „Genie“ ausstrahlt. Dass seine Geschichte auch noch die moralischen Höhen und Tiefen nach der Frage des Lebens abdeckt ist dabei ein Bonus. Und ganz ehrlich: Wer auch immer diesen Charakter geschrieben hat: Danke.
Aber auch die Verstimmungen zwischen den Quarianern und den Geth erreichen hier neue Höhen in Form von zwei Crew-Mitgliedern. Man erfährt tatsächlich mehr über die Reaper, über die Protheaner und was aus ihnen wurde. Und wer bei der finalen Mission (ein gegnerisches Raumschiff wird zerlegt) nicht innerlich jubelt und eine tiefe Zufriedenheit verspürt, der oder die hat wirklich irgendein Problem mit Empathie.
Spieltechnisch viel mehr geradeaus mit fix eingearbeiteten Missionen, die zu bestimmten Zeitpunkten getriggert werden, ist auch die Inszenierung ein Hammer. Die Dialoge, die Kamerafahrten, die Schnitte – all das ist einfach ganz vorne dabei. Sicher, die Grafik ist nicht mehr aktueller Stand, aber das Herz, Leute, das Herz ist immer noch absolut dabei.
Dass die Zusatzinhalte wie „Lair Of The Shadow Broker“ oder die „Hammerhead“-Missionen oder „Kasumi Goto“ und „Zaed“ mit dabei sind, ist natürlich auch schon mal ein Vorteil. Wer möchte schon auf Kasumi verzichten? Eben. Niemand. Die möglichen Dialoge mit den Crewmitgliedern vertiefen deren Geschichte und Charakter und der oder die eine oder andere kann sogar während des Spiels davon überzeugt werden, sich euch anzuschließen anstatt euch für einen unfähigen Idioten zu halten.
Betrachtet man die Sache objektiv, dann ist die Story zu 100% linear. Macht ihr die Missionen, dann sind am Ende alle mehr oder weniger eure besten Freunde und Punkt. Aber das stört mich zumindest nicht, denn diese Leute, nun – mit denen ist man gern befreundet (ja, auch mit Miranda und Jack).
Und dann kam Mass Effect 3.
Oh, was war der Aufschrei groß: Das Ende macht alles kaputt. Das Ende zerstört das Spiel. Das Ende lässt alle Entscheidungen außen vor.
Ja. Das stimmt auch immer noch. Aber das war bei Teil 1 so und auch bei Teil 2 war es im Grunde genommen so. Die Story hat immer gleich geendet. Es hat sich immer nur verändert, wer noch am Leben war, um mit in den nächsten Teil zu kommen. Und das Ergebnis seht ihr nun hier im dritten Teil. Er ist genauso linear wie die ersten beiden Teile. Der Unterschied ist allerdings, dass sich von Anfang bis Ende der gesamte Weg verändert, je nachdem wie ihr die ersten beiden Teile gespielt habt. Und DAS ist die Leistung. Nicht das Ende. Das hat (nach den ergänzten Szenen vom Director’s Cut) schon gepasst. Und die Charaktere waren im dritten Teil bereits dermaßen ausgefeilt, dass es sich wirklich und tatsächlich angefühlt hat, als würde man alte Freunde wiedertreffen (obwohl man Teil 2 gerade vor einer Stunde beendet hat!). Und auch bei der Legendary Edition ist es so, dass jedes einzelne Wiedesehen eine Freude ist.
Das gute an der Legendary Edition ist auch, dass das Stückwerk namens „Mass Effect 3“ tatsächlich nun aus einem Guß ist. Denn als das Spiel damals rauskam, dass muss man einfach so nennen, da wurden wichtige Storteile einfach rausgeschnitten und als DLC verkauft. So zum Beispiel was mit Aria T’Loak und Omega passierte. Oder die Tatsache, dass man eine lebenden Protheaner findet und ihn als Crewmitglied bekommen kann. Von der Lore vertiefenden Erweiterung „Leviathan“ ganz zu schweigen.
Zugegeben: Der absolut großartige, durchgeknallte und wirklich, wirklich witzige „Citadel“-DLC hat nichts zur Handlung beigetragen, aber dafür konnten sich die Autoren richtig austoben, die gesamte Crew kam nochmals zum Zug und von allen konnte man gut Abschied nehmen. Die Dialoge sind immer noch ein Wahnsinn und das Ende mit seiner absolut plakativen, aber großartigen Message ist auch immer noch top.
Außerdem ist die Inszenierung in den einzelnen Mission nochmals besser geworden, es gibt eine ganze Reihe von Highlights was die Missionen und Sequenzen betrifft (ich sag nur Kalros vs Reaper oder die Flotte zerlegt den Reaper oder den Turm auf Tuchanka, Garrus letzte Worte, die Lösung des Konflikts zwischen den Geth und den Quarianern und vieles andere). Da jagt fast ein Highlight das nächste. Und zwar ohne Pause. Dass man einen neuen Bösewicht namens Kai Leng einbaut, der vorher nur in den Büchern zu finden war – geschenkt. Trotzdem … Mass Effect 3 ist ein Highlight und eine einzige Achterbahnfahrt. Und was das Ende betrifft: Bioware wussten auch, wenn man mal ruhige Momente einbauen musste. Ich habe immer noch das Bild vor Augen: Shepard und Anderson lehnen an der kleinen Erhebung. Vor ihnen der Blick ins All. Stille, bis auf ein paar gemurmelte Worte. Klaviermusik. Großartig.
Zusammengefasst: Spielt man bei Mass Effect wirklich alle drei Teile gleich nacheinander, so fällt extrem auf, wie groß der Sprung in der Inszenierung von Teil 1 zu Teil 2 hin ist und wie perfektioniert das Ganze im dritten Teil umgesetzt wurde. Die klaren Schwächen von Teil 1 sind zwar extrem auffallend, aber nach Teil 2 wird euch das egal sein und spätestens bei Teil 3 seid ihr ohnehin völlig sprachlos. Auch die Action, bzw. die Zielfunktion, die Gegner, Schilde, Barrieren, Seitwärtsrollen – das Gameplay macht von Teil zu Teil einen großen Sprung nach vorne. Es wird zwar immer weniger Rollenspiel, aber dafür immer immersiver. Was soll ich sagen? Ich dachte, es würde langweilig werden, „schon wieder“ Mass Effect zu spielen, aber ich kann nur wiederholen: Als der Abspann vorbei war, war man erster Impuls: NOCHMAL! Und das will was heißen.
Ganz abgesehen davon: Wer bei all den coolen Begleiterinnen und Begeitern natürlich nicht unerwähnt bleiben darf, ist der beste Pilot der Galaxis. Joker! Und auch der baut von Teil zu Teil mehr auf. Gerade im letzten Teil fand ich ihn einfach … grandios. I salute you!
„Mass Effect: Legendary Edition“ bekommt von mir 10 von 10, die Fehler im ersten Teil ignorierende, weil danach alles absolut in den Flow kommt, verdienende Punkte. Recht viel besser als das hier wird es nicht.
Tatsache: „You were born to do this.“