Kassandra (oder Alexios) ist eine Söldnerin. Aktuell lebt sie auf Kefalonia mit ihrem „Freund“ Markos und einer „kleinen Schwester“ namens Phoibe. Da sie eben als Söldnerin ihre Brötchen verdient bekommt sie einen interessanten Auftrag – mitten in den Wirren des peleponnesischen Krieges (der aus vielen kleineren Kämpfen bestand und nicht nur aus riesengroßen Massenschlachten) soll sie den strategisch brillanten „Wolf von Sparta“ ermorden. Natürlich nimmt sie den Auftrag an. Mit Sparta hat sie ohnehin noch ein Hühnchen zu rupfen, denn obwohl sie dort geboren wurde hat sie keine guten Erinnerungen an diesen Ort. Ihre Familie ist aufgrund einer Prophezeiung des Orakels von Delphi zerbrochen und ihr Bruder vermutlich tot.
Während ihrer langen Reise, die sie von einer Ecke Griechenlands in die andere und wieder zurück führt, stellt Kassandra fest, dass ihre Vergangenheit vielleicht doch nicht so klar ist, wie sie zu sein scheint und es eine Chance gibt, ihre Familie und ihre Heimat neu für sich zu gewinnen. Eine Chance, die sie nutzt. Oder auch nicht.
In der Gegenwart sieht es so aus, dass Leila, die zu den Assassinen übergelaufen ist, mit einer Gruppe Assassinen in einem Wettlauf gegen die Zeit und eine Killertruppe der Templer nach einem verschollenen Artefakt sucht und … nach Atlantis. Aber die Templer sind ihnen auf den Fersen. Nicht nur das, sondern auch Leilas Fanatismus (weswegen die Templer ihr ja nie richtig vertraut haben) macht sie möglicherweise zu einer Belastung für die Assassinen …
Was muss man über „Assassin’s Creed“ noch viele Worte verlieren? Wer diese Spielereihe nicht kennt hat in den letzten Jahren wohl ein wenig geschlafen. Der neueste Ableger namens „Odyssey“ führt uns zurück noch vor die Gründung der Assassinen- und Templer-Orden, nämlich ca. 430 v. Christus als sich der Attische Seebund (Athen und Verbündete) und der Peleponnesische Bund (Sparta und Verbündete) eifrig zu Wasser und zu Lande bekriegt haben (auch wenn sich die Geschichtsschreibung im Grunde auf nur eine einzige Quelle (Thukydides, später Xenophon) beruft). Interessant für „Assassin’s Creed“ ist in dieser Epoche das Vorhandensein von vielen bekannten Figuren, welche die meisten wohl zumindest vom Hörensagen kennen.
Als Spiel ist „Odyssey“ im Prinzip ein „Origins“ mit dem Zusatz von Seeschlachten, einem Endlos-Söldner-System, Massenschlachten und Entscheidungen bzw. Dialogoptionen, angesiedelt in einer anderen Zeitepoche, Gegend und dementsprechend neuen Figuren/Charakteren.
Da sind wir auch bereits beim positiven Teil des Spiels angelangt: Ich finde die Figuren (auch wenn manche sehr kurz vorkommen) wirklich gelungen und fand sie durch die Bank überzeugend, wenn auch nicht alle bei mir hängen geblieben sind. Wer blieb im Kopf? Sokrates (geniale Gespräche, spätestens wenn Kassandra ihren Sarkasmus auspackt), Hippokrates („Frag ihn nicht nach seiner Glatze!“), Perikles (Vater der Demokratie), Kleon (Kriegstreiber), Aspasia (Vertraute von Perikles), Markos (das Ende des Weinguts …), Phoibe (will nen eigenen Adler), Deimos (Gegenspieler), Myrinne (Mutter mit großem Herzen und starkem Speerarm), Nikolaos (Vaterfigur), Brasidas (Spartaner wider Willen), Archidamos (König von Sparta), Herodot (Geschichtsschreiber), Barnabas (getreuer Freund) und natürlich – wie könnte es anders sein – Alkibiades, der wohl irrste und trotzdem auf wahren Begebenheiten beruhende Charakter in einem Assassin’s Creed-Spiel seit überhaupt (auch wenn man eine Randnotiz der Geschichte hier zu einem riesigen Charakterzug aufbläst – ja, ich meine seine Sexkapaden).
Wenn ich das jetzt mit dem direkten Vorgänger vergleiche, dann ist „Odyssey“ ganz vorne dabei, denn von „Origins“ kann ich mich gerade mal an Bayek, Aya, Cäsar und Cleopatra erinnern. Und das ist insofern erwähnenswert, weil „Odyssey“ seinem Namen gerecht wird – es ist lang, lang und wirklich unglaublich lang (ich habe 120 Stunden darin verbracht – ohne DLCs! – auch wenn ich anmerken muss, alle Achievements freigeschaltet zu haben, also quasi Platinum) und trotzdem blieben diese Personen in meinem Kopf. Das liegt daran, dass sie alle immer wieder auftauchen, euch eine zeitlang immer wieder begleiten (nochmals: Alkibiades!).
Was leider unter dem enormen Umfang leidet ist die Dichte der Story, bzw. deren Einfügen in einen größeren geschlichtlichen Kontext: Ja, ich erlebe die Pest in Athen mit. Ja, ich bin bei der Schlacht von Amphipolis dabei. Trotzdem fällt es mir schwer, die jeweilgen Momente einzuordnen, da die Macher*innen leider versäumen der Saga einen geschichtlich ortbaren Rahmen zu geben. Natürlich ist mir bewusst, dass es hier in erster Linie um die persönliche „Odyssey“ unsers Hauptcharakters geht, trotzdem finde ich es schade (bereits „Unity“ hat das verbockt). Und ohne jetzt groß spoilern zu wollen: Auch das Ende der Story hat mich jetzt nicht so umgehauen, wie ich es erwartet hatte.
All dem zum Trotz ist „Odyssey“ ein fast perfekter Spielplatz, der es doch tatsächlich zum ersten Mal in der Spielgeschichte von „Assassin’s Creed“ schafft, dass ihr euren eigenen Charakter formen könnt. Wenn auch auf andere Weise als vermutet. Nämlich so: Das Spiel schmeist euch unzählige Quests hinterher, die ihr allerdings nicht annehmen müsst. In Spielmagazinen wird oft von „Grinding“ gesprochen, aber das trifft die Angelegenheit meiner Ansicht nach nicht, da viele davon einfach optional sind. Spieler*innen sind es ja gewohnt einfach alle Quests und Orte abzuklappern, jede Quest anzunehmen und – wenn es um Entscheidungen geht – am Ende einer Quest durch irgendeine Entscheidung ein gutes oder böses Ende für die Quest zu bekommen. Natürlich ist das sehr verkürzt und vereinfacht wiedergegeben. Wer das bei „Odyssey“ macht erhält als Spielfigur eine/n Serienmörder/in. Ganz ehrlich.
Denn „Odyssey“ dreht den Spieß um: Wenn ihr eine Quest/einen Auftrag annehmt, dessen Inhalt es ist Person X umzubringen, dann habt ihr den Auftrag Person X umzubringen. Da gibt es später keine „Ah, ich kann die Person doch leben lassen“-Momente (bzw. sehr, sehr, sehr selten). Vergeßt das! Wenn ihr einen Auftrag annehmt, dann habt ihr ihn. Punkt. Also heißt es umdenken. Wollt ihr eine sympathische und halbwegs (immerhin hat das Spiel das Wort „Assassin“ im Titel) friedvolle Person als Charakter, dann müsst ihr euch gut überlegen, welche Missionen ihr annehmt oder nicht. Ungewohnt, aber meiner Ansicht nach absolut sinnvoll – vor allem, da die Questgeber euch auch immer erklären, warum ihr Person X abmurksen sollt. Sagt also danach nicht, ihr habt das nicht gewusst. Das gilt auch für die natürlich wieder auftauchenden Forts oder Banditenlager. Um die Orte „abzuschließen“ müsst ihr ein paar variierende Aufgaben erfüllen (x Kisten leerräumen, x Personen ausschalten, Kriegsgüter verbrennen, etc). Auch da liegt es bei euch: Legt ihr alle um und räumt dann in Ruhe das Lager aus oder bleibt ihr verborgen und versucht versteckt die Missionsziele zu erfüllen? Eure Entscheidung.
Auf das Spiel per se hat das keinen wirklichen Einfluss, abgesehen davon, dass ihr euch in diversen Dialogen, in denen Kassandra (oder Alexios) darauf hinweisen, dass sie keine gewissenlosen Mörder sind, bestätigt fühlt. Bringt jeder Auftrag XP? Natürlich. Es hieß in diversen Medien, man könne keine Quests ablehnen, weil man die XP brauche um im Spiel weiterzukommen – und das stimmt. Allerdings habe ich nur Aufträge angenommen, die ich moralisch okay fand (zB kann man Friedensverhandlungen verhindern inden man einen der Verhandler umbringt: Nein, danke.) und trotzdem war ich am Ende der Hauptstory auf Level 63 (das Limit vor dem Patch war 50), also weit über dem was notwendig ist.
Die vielen Quests varrieren zwar in ihrer Qualität, aber in Summe fand ich eigentlich alle absolut in Ordnung. Da ich kurz vor „Odyssey“ das eher unbeliebte (aber langfristig besser werdende) „Mass Effect Andromeda“ durchgespielt habe, kann ich nur sagen: So macht man das – guckt hin Bioware! Die Questgeber sind alle vertont, haben eine Mimik und Gestik und reagieren auch passend auf eure Aussagen. So gehört sich das. Feine Arbeit, Ubisoft.
Das wahre Hightlight ist allerdings die Spielwelt – die ist einfach unglaublich schön. Ob es sich jetzt um Nebelschwaden handelt, durch die das Sonnenlicht im Wald bricht, den Sternenhimmel mitsamt Mond, der über den Bergwipfeln scheint, den Blick über die Stadt Athen des nachts, wenn die Fackeln alles erhellen oder einfach nur eine Wiese im goldenen Sonnenlicht. Eigentlich kann man alle fünf Minuten stehen bleiben, ein Foto schießen, es ausdrucken und an die Wand hängen. Ehrlich. Das Spiel sieht in Bewegung (vor allem die Farben und die Lichtstimmung) wahnsinnig gut aus. Reitet ihr über eine Hügelkuppe und das Licht bahnt sich zeitgleich einen Weg durch den herbstlichen Blätterwald – das ist eine grandiose Stimmung.
Kann man also „Odyssey“ etwas vorwerfen? Ja. Es ist schlichtweg zu groß. Ich habe zwar jede Minute im virtuellen Griechenland genossen, aber in der Mitte habe ich einfach mal eine Pause von ein, zwei Wochen gebraucht – denn (ich kann es nur wiederholen) „Assassin’s Creed Odyssey“ ist wirklich riesengroß. Noch dazu gibt es an allen Ecken und Enden etwas zu entdecken. Die Größe der Spielwelt (und die damit einhergehenden Ladepausen vor Zwischensequenzen oder bei der Schnellreise) können die Stimmung schon mal schmälern. Diesbezüglich verstehe ich manch negative Wertung der Fachpresse, denn „Odyssey“ kann man nicht „schnell durchspielen“. Das geht einfach nicht. Wer sich (als professionelle/r Spieletester/in mit Abgabetermin) in sieben Tagen durch das Spiel stresst, der/die fühlt sich natürlich als würde er/sie alle halbe Stunde das gleiche machen. Wer sich aber – wie ich – jeden Tag oder alle paar Tage einfach für ein paar Stunden hinsetzt, der/die wird großen Spaß daran haben zumal die Mechaniken so gut ineinandergreifen, dass es nie langweilig wird.
Vor allem die in der ganzen Welt verteilten Quests sind teilweise überraschend gut gelungen. Mir fällt zum Beispiel das Kind ein, welches von ihrer Mutter als letzten Wunsch vor dem Tod mit auf den Weg bekommen hat, sie solle nach draußen gehen und Freunde machen (spielt auf Englisch, nur so als Tipp). Also baut das Kind aus Lehm Statuen, die sie ihre Freunde nennt. Bis Kassandra ihr (eine Option) klar und deutlich sagt, dass ihre Mutter das so nicht gemeint hat und es solle sich jetzt mal zusammenreißen. In einem Spiel wie „Odyssey“, welches vor nichts(!) zurückschreckt hatte ich halb damit gerechnet, dass das Kind sich vor lauter Wut und Verzweiflung über die Klippe in den Tod wirft. Ist nicht passiert. Stattdessen bin am nächsten Tag (in Spielzeit) wieder vorbeigekommen – ich wollte wissen, wie es dem Kind ging – und Tada: Da sitzen ein paar Kinder und bewundern gemeinsam die Statuen. Glück gehabt. Hätte auch anders ausgehen können. Es gibt eine ganze Reihe an Quests an die ich mich gern erinnere („Yes, yes. My pets.“) und die mich mal zum Schmunzeln, mal zum Lachen, mal zum Schreien und sogar mal nachdenklich gemacht haben. Die drei Handlungsstränge (der Kriegsverlauf und was in Athen und Sparta passiert, die Suche nach der eigenen Familie und die Geschichte der Artefakte der Isu) laufen zusammen, überschneiden und ergänzen sich. Wer dachte, dass „Odyssey“ nichts mit der Gegenwartsgeschichte bzw. der „Precurser“-Rasse zu tun hat: Falsch. Die „Meta-Story“ ist noch mehr mit dem Spiel verknüpft als es in den letzten Teilen der Fall war (und ein paar der Quests, zB die zur Medusa führt oder zum Minotaurus; sind verdammt gruselig und unheimlich inszeniert).
Die Gegenwartsstory bekommt (auch wenn zeitlich vielleicht gut 1 1/2 Stunden Spielzeit) einen gewaltigen Kick nach vorne (ich sag nur: Atlantis und Layla) und ich bin gespannt wie sie im nächsten Teil weitergeht (ja, ich bin einer von denen, die die Gegenwartsstory mögen).
Alles in allem ist „Assassin’s Creed Odyssey“ für mich eine gelungene Weiterentwicklung von „Origins„, gemischt mit „Black Flag„, die ein wenig über das Ziel hinausgeschossen ist. Im nächsten Teil gern wieder kleiner und wieder mehr „Assassin“ als „Misthios“, aber ich denke, das haben die Damen und Herren von Ubisoft auch kapiert.
„Assassin’s Creed Odyssey“ bekommt von mir 9 von 10 möglichen, durch seine Spielwelt beeindruckend und seinen schieren Umfang bedrückende, Punkte.
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