Guillermo Del Toro’s Pinocchio (Filmkritik)

Geppetto (David Bradley) verliert seinen Sohn Carlo durch einen versehentlich Abwurf einer Bombe. Ein Kriegsopfer, ohne im Krieg dabei gewesen zu sein. Er verliert seinen Lebensinhalt und verliert sich im Suff. Eines Nachts aber, volltrunken, beschließt der Handwerker, sich einen neuen Sohn zu bauen – also schnitzt er sich einen, gibt aber nach einer Weile betrunken auf und schläft lieber seinen Rausch aus.

Eine Waldelfe (Tilda Swinton) erbarmt sich seiner Sorgen und erweckt die Puppe, die Geppetto geschnitzt hat zum Leben. Von nun an lebt Pinocchio (Gregory Mann) also und versucht ein echter, lieber Junge zu sein. Leider ist aber alles neu für ihn und so tritt er von einem Fettnäpfchen ins nächste. Was zu Zeiten des Faschismus natürlich alles andere als angenehm ist.

So kommt es, dass verschiedene andere Fraktionen auf ihn aufmerksam werden. So zum einen der Zirkusdirektor Graf Volpe (Christoph Waltz), der ihn als Attraktion für sich haben will. Aber auch Podesta (Ron Perlman) will ihn haben – um ihm als den perfekten Soldaten zu trainieren, denn so lebensecht Pinocchio auch sein mag: Sterben kann er schließlich nicht.

Und das alles führt zu vielen Verwirrungen, Tränen, Leid und – ja, auch Tod.

Ich bin kein Fan von der Geschichte von Pinocchio, so viel gleich vorab. Ich habe alle anderen Verfilmungen, die 2022 rauskamen (es gibt zwei weitere, eine davon eine wirklich schräge Version, die aus Russland kommt) und auch so gut wie alle davor vermieden. Das Thema hat mich einfach nicht interessiert.

Wenn man dann aber einen Regisseur wie Guillermo Del Toro mit Stop-Motion kombiniert, nun, dann ist mein Interesse geweckt. Und auch wenn Del Toro in den letzten Jahren meiner Ansicht nach halbwegs geschwächelt hat (ich fand zum Beispiel „The Shape Of Water“ wirklich nicht gut), so war ich an dieser Version doch interessiert.

Also – Netflix angeworfen und nachgesehen, ob der Film gut ist. Und ich kann gleich vorab sagen: Ja. Ist er. Wenn man damit klarkommt, dass Del Toro sich bei der Geschichte einige Freiheiten genommen hat, dann hat man hier einen Film, der so gut wie alle Stücke spielt. Das fängt bei Humor an, geht über horrorartige Szenen weiter und endet nicht zuletzt bei herzerweichenden Momenten. Und das sage ich als jemand, der mit Liedern in Filmen nur ganz, ganz, gaaaanz selten was anfangen kann.

Was halt hier so ein Wahnsinn ist, ist die Summe der Teile: Zuerst mal die Optik. Die ist grandios und fabelhaft. Ich bin ja meistens von Stop-Motion-Filmen beeindruckt, aber was hier gemacht wurde, das setzt die Latte richtig, richtig weit nach oben. Die Detailgenauigkeit, die Hintergründe, die Kulissen … wow, einfach wow. Ja, manche der Figuren sehen abstossend aus (sollen sie ja auch), aber man sieht (und spürt) die gesamte Zeit über mit welcher Liebe und Hingabe sie gemacht wurden. Einfach fantastisch (wer sich das sehr sehenswerte Making-Of auch noch zu Gemüte führt, der oder die ist danach vermutlich noch beeindruckter. Ich zumindest war es).

Dann die Synchronsprecher:innen. Die sind allesamt super gecastet und allein schon, wenn Ewan McGregor als Grille damit beginnt den Film zu erzählen, nun, dann bin ich schon fast bereit alle folgenden Fehler zu verzeihen. Nur, dass wenig bis keine Fehler folgen. David Bradley als Geppetto ist ebenfalls absolut großartig (wie der Mann Sachen betont!). Außerdem ist es mir immer wieder eine Freude, wenn Menschen in diesem Business, die sich kennen und Freunde sind, immer wieder mal zusammenarbeiten. Das heißt, man darf hier auch Ron Perlman wieder einmal in Kombination mit Del Toro erleben. Und natürlich ist es auch immer schön, wenn man Christoph Waltz in einem Film hört, keine Frage.

Aber es war ja nicht Del Toro allein, der hier gewerkt hat – einerseits hatte er einen Co-Regisseur Mark Gustafson, der Erfahrung mit Stop-Motion hat, und – wie Del Toro selbst im Making-Of erzählt – die Leute, welche die Figuren gemacht und in Bewegung versetzt haben.

Denn das große A und O an der Sache sind die Kleinigkeiten im Film, die ihn einfach so richtig menschlich machen. Das sind kleine Gesten, Gesichtsausdrücke, Spielereien, an denen man merkt, wie viel Liebe zum Detail eingearbeitet wurde. Das letzte Mal ist mir das bei „Arcane“ aufgefallen. Während bei vielen Animationsfilmen auf nicht notwendige Bewegungen und Gesten verzichtet wird (weil billiger und schneller) verliert man sich hier teilweise fast in Kleinigkeiten. Egal ob das nun die Haarsträhnen von Geppetto sind, die mitschwingen, wenn er sich bewegt, oder kleine Tänzereien und Gestiken während des Redens, die es zwar nicht gebraucht hätte, aber alles so viel lebendiger machen als man das gewohnt ist.

Und natürlich das Design der Figuren und der Umgebungen, welche allesamt „Del Toro“ ausstrahlen. Und auch das wird im Making-Of angesprochen. Man merkt, dass die Macher:innen sich alle Filme in Bezug auf Farbgebung, Optik und Kamerapositionen bzw. -fahrten von Del Toro angesehen haben, denn man merkt in jeder Sekunde, wer das Mastermind hinter diesem Film ist. Am meisten natürlich erkannt man das an der Geschichte, die klar die Schwester von „Pan’s Labyrinth“ sein könnte, aber hier … das passt alles wundervoll zusammen.

Bei all der Düsternis, die der Film in den ersten Minuten inne hat und bei all den tragischen Hintergründen, die den Film durchziehen, so ist es dennoch ein Film, an dessen Ende ein klares Ja zum Leben in all seinen Facetten und all seinen Bedeutungen und Notwendigkeiten (Menschen sterben unausweichlich irgendwann) steht.

Wow, sag ich nur. Wirklich, ich hätte nicht gedacht, dass der Film so gut wird. Respekt und Hut ab vor allen Beteiligten.

Nur, und das muss gesagt sein, für Kinder ist der Film in meinen Augen nicht geeignet.

„Guillermo Del Toro’s Pinocchio“ bekommt von mir 9,5 von 10 möglichen, die Stop-Motion-Kunstform nicht nur technisch, sondern auch erzählerisch auf eine neue Stufe hebende, Punkte.


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