Calibre – Weidmansunheil (Filmkritik)

Vaughn (Jack Lowden) und Marcus (Martin McCann) machen gemeinsam einen Jagdurlaub. Es ist der letzte, den sie in dieser Form verbringen werden, denn Vaughn wird Vater und hat dann andere Prioritäten. Dazu fahren sie in die Weite der schottischen Einöde, übernachten in einem Hotel, feiern noch ordentlich, und brechen am nächsten Tag zur Jagd auf.

Dumm ist, dass Vaughn seine Munition vergessen hat, also leiht Marcus ihm (illegalerweise) sein Gewehr und dann passiert es. Just als Vaughn ein Wild erlegen will und abdrückt erhebt sich ein Mensch hinter einem Hügel und Vaughn erwischt diesen statt des Tiers.

Panik bricht aus. Und Vaughn und Marcus begehen einen Fehler nach dem anderen, versuchen zu vertuschen was geschehen ist und die Talfahrt beginnt …

Auf diesen Film bin ich durch Zufall gestoßen und dachte mir, okay, warum nicht, der Trailer sieht ganz okay aus.

Ich war nicht darauf gefasst, was dann abgeht. Auf einer emotionalen und einer Spannungsebene. Das hier ist kein Actionfilm. Das hier ist ein Film über einen Unfall und ein Netz aus Lügen, der seine Kraft aus den Momenten zieht, in denen die Einwohner des Dorfes (die sich zum größten Teil alle sehr nett gegenüber den beiden Fremden verhalten) sich mit den beiden Hauptakteuren unterhalten und bei dem selbst in den kleinsten, banalen Small-Talk-Gesprächen gefährliche Fallen lauern.

Dazu kommt die Zerrissenheit, die man als Zuseher/in die gesamte Zeit über verspürt. Die beiden haben etwas Schreckliches gemacht (und wer den Film sieht, weiß, warum ich „die beiden“ schreibe) und ihre Versuche das zu vertuschen bringen sie dazu, noch viel schlimmere Dinge zu machen. Beispiel gefällig? Die Kugel im Kopf des Opfers kann zum Käufer/Schützen bzw. durch die Fingerabdrücke zu der Person zurückverfolgt werden, die sie in die Waffe geladen hat. Also muss man die Kugel rausholen. Aus dem Kopf des Opfers.

Da bringen sich zwei Menschen gegenseitig dazu zum Schutz des jeweils anderen (oder zum Eigenschutz) wirklich schlimme Dinge zu tun. Und bis zum Ende hin meine ich wirklich(!) schlimme Dinge.

Das Drehbuch pausiert keine Sekunde. Eine Bedrängnis jagt die nächste und es gibt keinen Satz zu viel in dem Film. Viel wird über Blicke, die sich zwei Personen zuwerfen, Gesten oder die Mimik gemacht.

Matt Palmer, der hier das Drehbuch geschrieben und auch gleich Regie geführt hat, hat großartige Arbeit geleistet. Dazu kommt das Setting. Schottland wird generell für meinen Geschmack viel zu selten in Filmen (mit schottischen Schauspieler*innen) genutzt (oder ich bekomme es zu selten mit). Man merkt dem gesamten Film einfach von Anfang bis zum Ende an, dass es kein Hollywood-Streifen bzw. kein amerikanischer Film ist, sondern ein dreckiger, erdiger, echter und mit logisch (wenn auch moralisch fragwürdig) handelnden Personen angereichter Film ist, der Spannung durch seine Situationen aufbaut.

Er geht dann auch tatsächlich anders aus als ich dachte, allerdings wird – soviel darf ich verraten – ein sehr ambivalentes Ende präsentiert, dessen letzte Szene (in der die vierte Wand, also jene Distanz von den Schauspieler*innen zu den Zuseher*innen, gebrochen wird) schon ziemlich nachdenklich zurücklässt.

Die Schauspieler*innen überzeugen alle auf ganzer Linie. Bei den meisten habe ich mich gefragt, ob die jetzt wirklich „spielen“ oder ob die einfach so sind und das ist ein großes Kompliment. Da hilft es natürlich, keine hochkarätigen Hollywood-Namen im Cast zu haben, mit denen man x andere Rollen verbindet.

Die Kameraarbeit ist ebenfalls 1A und was mir sehr gut gefällt ist, dass er Film eigentlich relativ langsam erzählt wird, die Zeit jedoch wie im Fluge vergeht. Mir war keine Sekunde langweilig, sondern ich war einfach gespannt, wie das weitergehen kann geschweige denn „gut ausgehen“. Ich wüsste offen gestanden nicht einmal, was ein „gutes Ende“ sein sollte. Die beiden werden verhaftet? Von den Dorfbewohner*innen ermordet durch Lynchjustiz? Sie kommen davon? Was geht da als gutes Ende durch? Ich weiß es nicht. Das Ende, das er hat, finde ich deshalb richtig passend und perfekt (und Nein, nichts, was ich hier aufzähle passiert am Ende).

Matt Palmer sollte man im Auge behalten. Der Mann kann Drehbücher schreiben. Und Regie führen. Alle Achtung. Vor allem, wenn man bedenkt, dass dies hier nach ein paar Kurzfilmen sein erster Langspielfilm ist. Wow, sag ich nur. Wow.

„Calibre – Weidmannsunheil“ (wie immer bitte ich darum, den deutschen Titel/Untertitel zu ignorieren, der ist peinlich) bekommt von mir glatte 9 von 10 möglichen, die Spannungsschraube meisterlich anziehende, Punkte.


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