Ich seh Ich seh (Filmkritik)

Lukas (Lukas Schwarz) und Elias (Elias Schwarz) warten auf die Ankunft ihrer Mutter (Susanne Wuest), die nach einer Gesichtsoperation nach Hause kommt. Ihr Gesicht ist in Bandagen gehüllt. Eine Scheidung liegt in nicht allzu weiter Ferne und der Grund für die OP der Mutter dürfte wohl ein Unfall gewesen sein. Als Mama nach Hause kommt sind die beiden Zwillinge aber nicht sehr erfreut, denn … Mama ist anders als zuvor. Mama benimmt sich nicht wie Mama. Und relativ rasch ist den beiden auch klar weshalb Mama so komisch ist – denn die Frau die hier nach Hause gekommen ist … das ist nicht ihre Mutter, den Mama würde sich niemals so benehmen wie diese Frau sich benimmt.

Die Frage ist nur wie Lukas und Elias das beweisen können …

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Veronika Franz und Severin Fiala haben mit „Ich seh Ich seh“ ihren ersten gemeinsamen Spielfilm geschaffen. Veronika Franz hat lange Jahre mit Ulrich Seidl (Österreichischer Filmemacher, der eher „schwere“ Filme macht wie „Hundstage“, „Im Keller“, „Import/Export“, die „Paradies“-Trilogie) zusammengearbeitet, der „Ich seh Ich seh“ auch produziert hat. Der Film hat auch international für Aufsehen gesorgt und Preise gewonnen. Ein österreichischer Genrebeitrag. Interessant, sollte man meinen.

Die Geschichte ist relativ simpel und die meiste Zeit über dreht sich die Handlung nur um die beiden Zwillinge und die Mutter, die allein in diesem großen Haus sind. Das Haus selbst ist genauso Darsteller wie die menschlichen Schauspieler. Hin und wieder tauchen Personen aus der Außenwelt auf (Rot-Kreuz-MitarbeiterInnen, die Geld sammeln, ein Pfarrer), aber in Summe geht es wirklich nur um die Beziehung innerhalb der Familie. Lange Zeit wird man dabei im Unklaren gelassen, was wirklich passiert ist und nur nach und nach öffnen sich die verschiedenen Vorkommnisse den Augen der ZuseherInnen.

Die Betonung liegt klar auf „nach und nach“ und auch wenn der Twist – denn natürlich gibt es einen – in diesem Fall wirklich rasch vorhersehbar ist, wenn man ein, zwei Horrorfilme/Psychothriller in seinem Leben gesehen hat, so dauert es hier doch sehr, sehr lange bis man zu dem Punkt kommt an dem man bestätigt wird. Konkret wird von Drehbuch her erst in den letzten fünf Minuten das Geheimnis gelüftet, das Zuseher (auch jene nicht so geübten) spätestens in der Minute 72 durchschaut haben sollten (der Film läuft rund 100 Minuten). Selten habe ich mir bei einem Film so sehr gewunschen keinen Twist serviert zu bekommen, sondern einfach nur einen geradlinigen, schrägen, abartigen Film. Es hätte mich weit mehr schockiert, wenn die Jungs einfach wirklich „nur“ irre gewesen wären. Ich behaupte jetzt nicht die Jungs seien irre oder nicht irre, auch nicht „Mutter“ sei wirklich „Mutter“ oder jemand anders, ich will ja nichts spoilern, aber wie immer auch die Auflösung ausfällt: Ich hätte wirklich gern keinen Twist bekommen.

Der Film wird also sehr langsam erzählt mit sehr elegischen Bildern, wenig bis keiner Hintergrundmusik und tatsächlich auch mit sehr wenig Dialog. Das wirkt streckenweise ein wenig befremdlich wie ich zugeben muss, passt aber zur morbiden Stimmung des Films. Denn dass mit den beiden Zwilligen nicht alles in Ordnung im Oberstübchen ist ist relativ rasch klar. Allerdings – und das macht es für mich schwer – auch die Mutter hat in meinen Augen einen an der Waffel. Wenn es denn die Mutter ist. Also die Person, die nach Hause kommt und von welcher die Jungs nicht glauben, sie sei ihre Mutter.

Das bedeutet nun also der Film wird von drei Charakteren getragen, die mir allesamt nicht sympathisch waren. Nicht die beste Vorraussetzung. Ja, ich gebe zu, mein Mitleidsgefühl schwankte zwischen den beiden Seiten (Kinder vs „Mutter“) hin und her, blieb aber relativ rasch auf einer Seite hängen und die Sachen, die im letzten Drittel des Films passieren sind … nun, abartig, morbid, pervers und zum Glück relativ rasch vorbei.

Da wir in Österreich aber keine einfachen Genrefilme produzieren können oder wollen (löbliche Ausnahmen wie „Blutgletscher“ bestätigen die Regel), müssen wir das Ganze natürlich in eine Arthouse-Schale packen und damit sozusagen einen Kunstfilm daraus machen. Das bedeutet ziemlich viele Szenen, die in erster Linie eines tun sollen: Gut aussehen und für Stimmung sorgen. Würde man all die Szenen aus dem Film rausnehmen welche die Handlung ausbremsen, wäre er sicher um 30 Minuten kürzer. Ich weiß nicht ob er besser wäre, aber zumindest wäre er dichter. Viele der Bilder sind wunderschön anzusehen, keine Frage, und mehr als einmal fühlt man sich an die Kamera von Michael Haneke und/oder Seidl erinnert. Das kann man natürlich gut oder schlecht finden.

Was ich damit sagen will: Hut ab vor der Kameraarbeit und der Bildkomposition. Echt. Das sind Hammerbilder und wirklich wunderschön. Der Film in Summe, nun, ich verstehe, was die Leute daran so toll finden. Ich verstehe es auf einer Meta-Ebene, die das Handwerk des Films bewundert. Ich war auch beeindruckt ob des Finales, da ich wirklich vor dem Bildschirm gesessen bin und gehofft habe die Szene möge doch bitte jetzt endlich aufhören, aber letzten Endes muss ich anmerken doch enttäuscht gewesen zu sein: Viele der Szenen sind einfach nur im Film, damit sich die ZuseherInnen Fragen stellen und der Film fühlt sich an wie ein großer, langer Aufbau zu einer Auflösung, die dann – trotz allem – eher enttäuschend ausfällt.

Außerdem werden extrem viele Dinge im Film einfach als gegeben angenommen. Die Jungs sammeln zB grauslige Käfer in einem Aquarium. Weshalb? Keine Ahnung. Einer der Käfer kriecht „Mama“ beim Schlafen in den Mund (und um nicht missverstanden zu werden: Wir sprechen hier von einer mind. 10cm großen Assel!) und – nichts passiert. Schluckt sie das Ding? Isst sie es? Kriecht das Ding wieder raus? Keine Ahnung. Ein Szene zeigt „Mama“ im Wald, die sich ihrer Kleider entledigt und dann – wie mittlerweile in Horrorfilmen üblich – ihr Gesicht so rasch schüttelt, dass es verschwimmt (ich werde nie verstehen, was daran gruselig sein soll) – ja, das ist dann nur ein Traum gewesen, sicher. Dennoch zeigt es gut, was ich meine: Viele Bilder sind nur aufgrund der Bilder im Film oder weil bewusst ein „Roter Hering“ gestreut werden soll, nicht weil sie die Handlung voran treiben.

„Ich seh Ich seh“ bekommt 6,5 von 10 möglichen, „Mutter“ nicht trauen könnende, Punkte.

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