Charlie (Brendan Fraser) ist fett. Das kann man völlig ohne Übertreibung nur genau so sagen. Er braucht eine Gehhilfe zum Aufstehen und sein Körper hält die schiere Masse an, nun, Charlie, nicht mehr lange durch. Es geht steil bergab, er hat tatsächlich nicht mehr lange zu leben. Das weiß auch seine Freundin Liz (Hong Chau), die sich um ihn kümmert, Einkäufe erledigt und ihm auch psychisch zur Seite steht. Und Charlie weiß das zwar zu schätzen, aber eigentlich will er nicht mehr. Er war auch nicht immer so. Tatsächlich hat ein tragisches Erlebnis ihn in diese Form der Trauerbearbeitung und Selbstzerstörung gedrängt.
Da er aber auch seine letzten Tage nutzen will, versucht er, Kontakt mit seiner Tochter Ellie (Sadie Sink) herzustellen, die er seit Jahren nicht mehr gesehen hat und deren Mutter ihm auch untersagt hat, mit ihr Kontakt aufzunehmen. Und Ellie ist, je nach Standpunkt ein Miststück oder eine großartige, selbständige und toughe Frau. Welten prallen zusammen. Vorwürfen kommen auf. Und Wahrheiten werden ausgesprochen. Und die Verdammnis oder die Erlösung nimmt ihren Lauf …
Gleich vorweg: Der Film basiert auf einem Theaterstück von Samuel D. Hunter, der auch das Drehbuch verfasst hat. Das heißt, ihr könnt euch geistig schon mal darauf einstellen einen Film zu sehen, der in einer Wohnung spielt und keine anderen Orte vorweisen kann. Ja, man sieht auch mal von draußen auf die Wohnung, aber das dient wohl nur dazu, die Zuseher:innen auch mal benötigt nach Luft schnappen zu lassen. Der Rest ist in der Wohnung und davon zum größten Teil im – immerhin geräumigen – Wohnzimmer.
Regie hat Darren Aronofsky geführt, den ich für seine Filme sehr schätze. Bereits „Pi“ hat mich damals aufgrund seines Wahnsinns gut abgeholt. „Requiem For A Dream“ hat mich richtig umgehauen. Hammerfilm, den ich mir kein zweites Mal ansehen werde. Und „The Fountain“ hat mich unglaublich berührt. „The Wrestler“ hab ich nie gesehen, „Black Swan“ war ebenfalls irre, aber faszinierend, um „Noah“ habe ich aus Prinzip einen Bogen gemacht und „Mother!“ fand ich grenzgenial.
Und dieser Mann hat einen kleinen, aber feinen Cast um sich gescharrt, der hier sein Bestes gibt. Angefangen bei Brendan Fraser („The Mummy„, nicht die peinliche Tom Cruise-Version), der sein Comeback feiert und eine starke Performance abliefert, die sich meines Erachtens nicht darin ergibt unter einem Fat-Suit zu spielen, sondern tatsächlich seine Mimik gebraucht und durch die Augen extrem viel ausdrückt. Wirklich mitreissend. Um nichts nachstehend ist da Sadie Sink als seine Tochter Ellie, die eine halbwegs heftige, harte Rolle hat, diese aber perfekt meistert. Dass die Dame gut ist, wissen wir ja nicht erst seit Stranger Things Staffel 4, sondern das wussten wir auch vorher schon und ja, auch hier zeigt sie: Wer diese Dame castet, der hat ein Energiebündel dabei. Aber das alles wäre nichts ohne Hong Chau als Liz, die dem Film sein Herz gibt. Später kommt dann noch Samantha Morton als Ellies Mutter dazu.
Wenn man es genau nimmt, dann ist „The Whale“ tatsächlich ein wirklich einfacher Film, bei dem es darum geht, dass ein Mann, der sich selbst zerstört hat, Frieden schließen möchte. Er möchte etwas Gutes hinterlassen und alles, was ihm einfällt, ist, seine entfremdete Tochter zu sehen und herauszufinden, ob sie nun ein guter Mensch geworden ist oder nicht. Dass dabei ein paar Erwartungen enttäusche, Vertrauen gebrochen und halbwahre Lügen auf dem Tisch landen, ist wohl klar.
Der Film lebt natürlich viel von Dialogen, von Beziehungen untereinander und den Dingen, die man weiß, aber nicht ausspricht. Nur, dass es hier Zeit wird, diese auch auszusprechen, denn das Ende kommt. Und ja, es wird sogar herbeigesehnt. Man kann sich in etwa vorstellen, wie viel Dialog in einem Film vorkommt, wenn das große Finale im Grunde genommen daraus besteht, dass sich ein Brocken von einem Mann aus eigener Kraft aus einem Sofa erhebt und ein paar Schritte macht. Und an dieser Stelle Hut ab vor den Effekte-Leute und den Sound-Designer:innen, denn bei diese Schritten spürt man jedes Kilo. Ich weiß nicht, ob ihr „Magnolia“ (wenn nicht, dann unbedingt anschauen!) kennt. Da gibt es die Figur von Tom Cruise (als er noch Charakterrollen angenommen hat), die ihren Vater hasst und die dann trotz vielem Hin und Her am Sterbebett steht, nur um ihm am Ende unter Tränen anzuflehen, nicht zu sterben. Hin und Her gerissen zwischen altem Hass und der Liebe eines verlassenen Sohns für seinen Vater. Diese Szene hat mich jedes Mal wieder extrem berührt und aufgewühlt. Und auch in „The Whale“ gibt es eine ähnliche Szenen zwischen Ellie und Charlie. Ellie, die ihm eigentlich immer nur Härte zeigt und ihm zu verstehen gibt, dass er sie nicht interessiert, die dann als sie begreift, das er wirklich(!) stirbt sich emotional dazu hinreißen lässt, ihm ein „Stirb nicht, du A***h!“ (sinngemäß) entgegen zu schreien. Und genau wie Charlie muss man lächlen.
Es gibt ja Seher:innen, die der Meinung sind, dass man hier quasi Voyeurismus betreibe (oder Fatshaming) und tatsächlich gibt es ein paar sehr ungustiöse Momente, die allesamt mit Charlie und Essen zu tun haben. Aber diese Momente – als auch sein Zustand – sind tief in seiner Trauer und Gebrochenheit verwurzelt und ja, sie stoßen ab, aber das sollen sie meiner Ansicht nach auch. Selbst Charlie merkt, wie abstoßend er ist, aber er kann sich nun nicht zurückhalten, der Drang nach Selbstzerstörung ist stärker.
Und natürlich gibt es einen Twist im Hintergrund, weshalb Charlie so ist und ein paar Querverweise auf andere Personen und deren Kontext in allem was passiert ist. Und das kommt am Beispiel des Missionars namens Thomas (gespielt von Ty Simpkins) etwas schräg rüber und wirkt vielleicht ein wenig konstruiert, aber in Summe ist die Sache stimmig. Sicher, wer keinen Film über einen wirklich fetten Mann sehen will, der sollte sich halt keinen Film mit dem Titel „The Whale“ und einem Portaitbild des dicken Brendan Fraser ansehen, denn man kann ja wohl nicht sagen, dass dies als Überraschung gekommen ist.
Alles in allem hat mich der Film gut abgeholt und wirklich gefallen. Das lag zum Einen an den Leistungen der Darsteller:innen und zum Anderen an den teilweise großartigen Dialogen. Gibt es hin und wieder den einen kitschigen, peinlichen Moment? Oh, ja. Habe ich trotzdem eine Träne verdrückt? Aber sowas von.
„The Whale“ bekommt von mir 8 von 10 möglichen, nicht Aronofskys bester Film, aber immer noch extrem sehenswert seiende, Punkte.