Die Welt von Watch_Dogs ist keine schöne, bunte, fröhliche Welt. Zumindest nicht im ersten Watch_Dogs in dem der von Sehnsucht nach Rache und Vergeltung getriebene Aiden Pearce seinen Feldzug gegen die Mörder seiner Nichte ohne große Skrupel begeht. Die eine Sache, die Aiden nicht vollkommen zur Killermaschine verkommen lässt und die ihn halbwegs menschlich hält, ist seine Familie: Seine Schwester Nicole und sein Neffe Jackson.
Die Tatsache, dass Aiden große Schuldgefühle hat, da er indirekt für den Tod seiner Nichte (also Nicoles Tochter und Jacksons Schwester) verantwortlich ist, verstärkt das ganze Drama noch, da Aiden dadurch noch getriebener ist und bei jedweder Bedrohung seiner Familie instinktiv reagiert und vor nichts zurückschreckt.
Und ab jetzt folgen SPOILER.
Im Zuge von WATCH_DOGS (welches ich in Summe übrigens großartig fand, wenngleich auch extrem ernst und düster) wird Aidens Neffe Jackson entführt. Und Aiden reagiert natürlich auf die einzige Art und Weise, die er kann und die er kennt. Er findet raus, wo Jackson gefangen gehalten wird und rast los, um den jungen Mann (der seit dem Tod seiner Schwester kein Wort mehr gesprochen hat) zu retten.
Die Verbindung zwischen Jackson und Aiden ist einerseits eine sehr distanzierte Verbindung, denn Jacksons Weigerung zu sprechen (organisch ist alles in Ordnung mit ihm) ist natürlich in Aidens Kopf ebenfalls seine Schuld. Er versucht auch den jungen Mann vor seinen kriminellen Tätigkeiten fernzuhalten. Was er bei Jackson tatsächlich sucht ist: Wiedergutmachtung. Wenn Jackson Aiden nur als „guten Menschen“ sehen und wieder mit ihm sprechen könnte, dann – ja, dann wäre eine Heilung für Aiden möglich.
Zurück zur Situation: Aiden kommt zum Ort der Geiselnahme und tut, was er immer tut. Das bedeutet, er geht hinterrücks vor, legt Leute um, versucht zu schleichen, hackt sich von Kamera zu Kamera und letzten Endes hat er selbst mehrmals den Finger am Abzug und er nimmt in dieser Rettungsaktion ohne mit der Wimper zu zucken gleich mehreren Menschen das Leben – und endlich, endlich findet er Jackson. Und dann sieht er, wo er Jackson gefunden hat.
Im Sicherheitsraum, zu dem die Bilder von allen Überwachungskameras am Gelände auf großen Bildschirmen in Echtzeit übertragen werden. Und Jackson hat alles gesehen. Er hat gesehen, was Aiden getan hat. Er hat gesehen, wie sein Onkel skrupellos Dutzende Menschen ermordet hat.
Als Aiden ihm seine Hand mit den Worten „Los, Jacks! Wir müssen gehen!“ hinstreckt, da sieht Jackson ihn mit großen Augen an. Und zögert. Es ist nur ein Moment. Ein kurzer Augenblick. Der Bruchteil einer Sekunde.
Aber er zögert.
Und allein dieses Zögern hat mich völlig kalt erwischt. Denn gemeinsam mit Aiden ist man natürlich der harte Rächer. Die Person, die das Gamepad in der Hand hält und hunderte „Böse“ ausknipst. Und die kurzen Momente in denen man bei Nicole und Jackson ist, die Szenen, die man als Familie erlebt – ohne es zu bemerken, sind sie der sichere Hafen. Man tut dies alles ja nur, damit die beiden sicher sind. Man wird ja dazu gezwungen. Natürlich gehört man zu den Guten. Und Jackson wird schon wieder reden, wenn er erst merkt, wie sehr er geliebt wird und was für großartige Menschen ihn umgeben.
Und dann zögert er als Aiden ihm die Hand reicht.
Das ist der Moment, in welchem mir fast das Herz zerbrochen ist. Und auch der Moment, in welchem Aiden begreift, was er da eigentlich macht. Und das es kein Zurück mehr gibt. Ja, er rettet Jackson. Er schafft Nicole und Jackson aus der Stadt. Er redet sich auch ein, dass er das tut, damit die beiden sicher sind. Aber eigentlich wissen wir es besser. Genau wie Aiden selbst: Er schafft Nicole und Jackson aus dem Weg, um seine Familie weit von sich fort zu wissen. Sie sollen nicht sehen, was noch alles passieren wird. Und vielleicht. Nur vielleicht vergisst Jackson was er gesehen hat. Vielleicht kann Aiden irgendwann in den Augen des Kindes wieder ein „guter Mensch“ werden.
Die Hoffnung ist da. Jackson spricht beim Abschied. Ich hatte ein bisschen Tränen in den Augen. Denn ich wusste auch: Mit Nicole und Jackson schickt Aiden auch seine Skrupel fort.
Dennoch: Die Hoffnung auf Erlösung lebt.
In Form von Jackson.
In weiter Ferne.