Wildling (Filmkritik)

Jahrelang hat sich der Vater (Brad Dourif) um seine Tochter gekümmert, sie von der Außenwelt abgeschottet, damit sie nicht auch Opfer des Kinder fressenden Wildlings werden würde, wie er ihr immer versichert hat. Doch nun ist der Vater fort und die mittlerweile junge Erwachsene Anna (Bel Powley), erwacht geschwächt und irritiert von den ganzen neuen Eindrücken, in einem Krankenhaus wieder.

Bis die Ergebnisse ihres DNA-Tests fertig sind und weil sie eine spezielle Bindung zu ihr aufgebaut hat, nimmt Sheriff Ellen Cooper (Liv Tyler) Anna vorübergehend bei sich auf. Die für sie neue Welt ist faszinierend und langsam aber sicher verändert sich ihr Verhalten und auch ihr Körper. Dabei passieren Dinge, die sich Anna vorerst nicht erklären kann…

„Wildling“ ist das Debüt des Deutschen Fritz Böhm als Regisseur, der auch am Drehbuch beteiligt war und seine Geld bisher hauptsächlich als Produktionsassistent verdient hat. Man könnte diesen Film jetzt durchaus auch als „Creature-Feature“ beschreiben und ihn auch so ansehen, doch würde dies dem Gesamtprodukt in keiner Weise gerecht werden. Für mich steckt hier einfach sehr viel drinnen, und um das zu beschreiben werden auch ein paar Spoiler folgen.

Zunächst mal gelingt Böhm (nicht zuletzt dank seiner Darstellerin) das Wichtigste gleich zu Beginn: man ist klar auf Annas Seite und begibt sich mit ihr auf diese Reise. Sie ist nie Täterin, sie entdeckt und reagiert. Dabei kommt mir vor allem eine Szene ins Gedächtnis und die nächsten Worte werden vielleicht zu Beginn komisch klingen: Wunderbar bezeichnend, wenn nicht sogar schrecklich schön, ist nämlich die „beinahe Vergewaltigungs-Szene“.

Etwas fällt dich an und reißt dir die Kleider vom Leib. Für Annas Hirn ist klar: das ist ein Monster. Und so ist es auch: Übt man in dieser Form Gewalt aus, ist man weder krank noch „nur betrunken“. Man ist für sein Opfer einfach ein Monster. Wie stark dieser Moment ist, und wie sehr er nachwirkt, ist mir erst später bewusst geworden. Der Umgang mit Außenseitern, mit dem Erwachen der Weiblichkeit in einem Mädchen, die Identifikationen von Menschen mit einigen Tieren, man kann über die gesamte Laufzeit noch einige Metaphern mehr herauslesen.

Das Streben nach Normalität und das Akzeptieren wer/was man ist, sind nicht immer das Gleiche. Dieser unbändige Drang nach Freiheit, der hier gekonnt vermittelt wird, ist ansteckend und endet in einem Finale, das durchaus eine gewisse surreale Ebene hat und ebenso durch eine bestimmte schonungslose, den Brüdern Grimm entsprechende, märchenhafte Grausamkeit besticht. Von Gut und Böse braucht man in dieser Konstellation gar nicht mehr anfangen zu reden.

Bel Powley (Equals) kannte ich bisher nicht und sie ist eine wahre Entdeckung. Als Anna arbeitet sie sehr viel mit ihrem ausdrucksstarken Gesicht und den förmlich in dich hinein sehenden blauen Augen. Auf ihrem Weg von der kindlichen Entdeckungsfreude hin zum Tier, das man wohl werden muss, um in dieser Welt zu überleben, lässt sie immer ihre Menschlichkeit durchblitzen und das ist, neben ironisch, einfach nur schön. Nicht minder großartig ist Brad Dourif (Alien Resurrection) als Vater.

Egal ob er nun das Richtige aus den falschen Gründen heraus tut oder einfach die falschen Mittel wählt, seine fehlgeleitete Vater-Liebe fühlt sich einfach immer daneben an. Liv Tyler (Space Station 76) als Sheriff schafft es in einer sehr ehrlich wirkenden Performance echtes Mitgefühl und Sorge für ihren Schützling auszustrahlen und James Le Gros (Stray Bullets) als schweigsamer Wolf Man, mit nach außen einschüchterndem Erscheinungsbild, zeigt mehr Hilfsbereitschaft als die „feine“, ach so verständnisvolle, Gesellschaft.

Ingesamt daher ein Film, der mich wirklich gefesselt hat und ich persönlich keine einzige der Botschaften und Metaphern mit dem erhobenen Zeigefinger vermittelt bekommen habe. Hinzu kommen großartige, in ihren Rollen aufgehende Schauspieler (vor allem Bel Powley), eine bestechende Optik und ein starker Soundtrack. Das Highlight ist der von Linda Perry geschriebene Song Wildling. Der beschreibt das Gesamterlebnis perfekt.

„Wildling“ bekommt von mir 9/10 die fixe Bindung von Schrecklichem und Schönen akzeptierende Empfehlungspunkte.

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