Dead Man’s Shoes – Blutrache (Filmkritik)

Richard (Paddy Considine) kehrt aus dem Militärdienst in seine alte Heimatstadt zurück, um sich an einer Gruppe Kleinkrimineller zu rächen, die seinen mental zurückgebliebenden Bruder drangsaliert haben.

Was als „kleine“ Witzelei von Seiten Richard beginnt, wird allmählich immer schlimmer – bis es unweigerlich zum ersten Toten kommt … und es ist nicht so, dass die Jungs nicht wissen, was sie getan haben, sie wollen sich nur nicht eingestehen, dass ihre Taten eine derartige Reaktion wert sind …

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Auch wenn der deutsche Titel „Blutrache“ ziemlich reißerisch wirkt, so trifft er den Nagel letzten Endes doch ziemlich auf den Kopf. Die wirkliche Bedeutung des Titels „Dead Man’s Shoes“ kann er allerdings nicht transportieren, denn der Film ist ein wenig mehr (oder weniger, je nach Standpunkt) als ein handelsüblicher „Slasher“. Wobei das Wort „mehr“ vielleicht nicht ganz stimmt. Der Film ist nämlich überhaupt kein Slasher. Tatsächlich handelt es sich dabei um ein Drama, das eben sehr brutale Momente hat. Die wirkliche Handlung dreht sich aber weniger um Richard, als um die Kerle, die von ihm verfolgt werden, denn das sind zwar durch die Bank durchgeknallte Spinner und sicher keine überaus sympathischen Typen, aber auch keine Über-Drüber-Gangster, sondern ziemlich menschlich.

Das ist überhaupt so ziemlich der Grundtenor des Films: Er ist menschlich. Das beginnt bei der rauen Optik des Films, die ziemlich erdig ist und es wirkt so als wäre ganz wenig nachbearbeitet worden (wer Filme macht, weiß, dass man ziemlich viel nachbearbeiten muss, damit es so wirkt als hätte man nicht nachbearbeitet) und auch die Schauspieler sind alle sehr nahe am optischen Durchschnittsmenschen dran. Hier sind keine Schönlinge unterwegs, keine Über-Drüber-Supermenschen, sondern Leute wie du und ich, die eben einen (oder mehrere) Fehler gemacht haben.

Dabei hält der Film sich mit Urteilen angenehm zurück – es wird gezeigt was passiert und das wird nicht weiter kommentiert. Zwischendurch erfährt man in Rückblenden (unaufdringliche Schwarz-Weiß-Aufnahmen) was eigentlich genau mit Richards Bruder passiert ist und durch diese Rückblenden erfährt man auch – nur aufgrund der Mimik der Person(en), wie leid ihnen tut, was sie getan haben. Ob die Reue deshalb hier ist, weil Richard aufzuräumen beginnt, oder ob sie selbst bereits vorher eine dementsprechende Gefühlsregung hatten, bleibt dem Zuseher selbst zu beurteilen.

Dabei macht der Film keinen Hehl daraus, dass selbst Richard kein Heiliger ist, sondern im Gegenteil: Der Mann hat klar eine „dezente“ Persönlichkeitsstörung bzw. ein kleines Aggressionsproblem. Ob seine Methoden nun nachvollziehbar sind, seine Motive gerecht und seine Taten damit okay, muss auch jeder für sich entscheiden.

Wunderbar finde ich die absolut schrägen Momente des Films, die teilweise völlig grundlos ein ungutes Gefühl auslösen. Als zum Beispiel Richard in einem Café einen der Typen von Null auf Hundert ein „You cunt!“ ins Gesicht plärrt, nur um sich später in einer Seitengasse extrem bedrückt bei diesem Kerl zu entschuldigen, aber auf eine Art und Weise, die so eindringlich und unheimlich ist, dass das noch beängstigender wirkt als es die Schreierei vorher je sein könnte.

Die Tode der „Bösen“ sind weder reißerisch noch gewaltpornographisch inszeniert, sondern genauso wie der Rest des Films „passiert“ das einfach. Es wird erzählt, was wichtig ist und das nicht kommentiert. Einzig die Filmmusik stellt einen Kommentar dar, denn diese ist die ganze Zeit über wunderbar traurig und melancholisch, so als wäre die ganze Welt traurig über die Dinge, die hier passieren.

Dazu passt auch das Spiel von Paddy Considine wunderbar, denn als Richard ist der einfach unberechenbar. Richard IST irre. Er ist ein von Gewalt und Militär gebrandtmarkter Mensch, der eben keine andere Art und Weise kennt, im Leben zurecht zu kommen als Gewalt. Das weiß er auch. Er weiß auch, was er vorhat, er weiß, wohin es führen wird und er beugt sich seinem Schicksal und damit seinem Charakter – bis zum bitteren Ende.

Was ich anfangs meinte, mit „Der deutsche Titel kann die Bedeutung des englischen Titels“ nicht transportieren ist, dass wohl jeder den Spruch „bevor du einen Menschen beurteilst, geh eine Meile in seinen Schuhen“ kennt. Letztlich ist es das Thema des Films: Richard zeigt ihnen, wie sein Bruder sich gefühlt haben muss – und – Überraschung! – die „Bösen“ mögen dieses Gefühl nicht.

Super, dass Shane Meadows („This Is England!“) es auch schafft, immer wieder kurze Momente des skurrilen Humors einzubauen, ansonsten wäre der Film wirklich ein bisschen zu deprimierend. Von den anderen Schauspielern – außer dem großartigen Considine, der auch am Drehbuch mitgeschrieben hat – blieb mir nur Gery Stretch („Mega Shark vs Crocosaurus“) in Erinnerung. Witzig, dass er zuerst Boxer, dann Model und nun Schauspieler ist, wenn auch ein Abstieg klar zu erkennen ist (ich meine, zuerst das hier und dann „Mega Shark“?).

„Dead Man’s Shoes“ bekommt 8,5 von 10 möglichen, knallharte, reale Menschen erschaffende, Punkte.

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