Sennentuntschi (Filmkritik)

Ein Dorf irgendwo in den Schweizer Alpen. Der Kaplan wird erhängt an der Kirchenglocke gefunden: Selbstmord. Beim Begräbnis taucht eine verdreckte, in Lumpen gekleidete, unbekannte Frau (Roxane Mesquida) auf und bricht geschwächt zusammen. Dorfpolizist Reusch (Nicholas Ofczarek) will der Sache auf den Grund gehen und findet bei seinen Nachforschungen mehr Fragen als Antworten.
Zum Beispiel warum es ein fünfzig Jahre altes Foto der Frau gibt, auf dem sie genau so aussieht, wie heute? Der Dorfpfarrer (Ueli Jäggi) hat die Antwort: Sie ist ein Dämon. Und sofort macht die Legende der „Sennentuntschi“ die Runde: Eine Strohpuppe von „werten Herren“ auf der Alm gebaut, um die männlichen Bedürfnisse ausleben zu können, erwachte sie einst zum Leben und brachte ihre „Peiniger“ um.
Ist die Frau eine Sennentuntschi? Bringt sie Unheil über die Stadt? Als die Frau des Bürgermeisters nach einer Begegnung mit der Namenlosen ihr Kind zu früh und tot zur Welt bringt, ist sich das Dorf einig. Der Dämon im Frauenkörper gehört in die Hölle zurück geschickt. Nur Reusch hat zweifel … oder er ist er einfach bereits ihrem Zauber verfallen?

Sennentuntschi

Der erste Schweizer „Horrorfilm“ und er wird von Walt Disney vertrieben, wenn das nicht mal eine seltsame Kombination ist. Ein jugendfreier Horrorfilm? Gottseidank nicht. Blut und Gedärme halten sich zwar in Grenzen aber allein schon aufgrund der Dinge, welche sich die Sennentuntschi mitmacht, gehört der Film sicher nicht in Kinderhände. Auch wenn Disney draufsteht. Eher im Gegenteil: Sennentuntschi ist ein ziemlich kompromissloser Streifen geworden, das zwar Lichtjahre von Filmen wie „Martyrs“ und/oder „Frontier(s)“ weg ist, aber immer noch ein paar brutale Momente zu bieten hat, auch wenn die meist nur kurz gezeigt/angedeutet werden.

Als ich erfahren habe, dass es eine österreichische/schweizerische Zusammenarbeit für einen Horrorfilm gibt, war ich klarerweise sofort interessiert – so viele gibt es ja nicht. Und in den Schweizer-Alpen fallen mir noch weniger ein. Umso schöner, dass endlich jemand auf die Idee gekommen ist, einen Film mit europäischen Mythen zu drehen. Und um es vorweg zu nehmen: Sennentuntschi hat mir außerordentlich gut gefallen.

Das liegt an ein paar Dingen: zum Einen lässt der Film sich Zeit, seine Geschichte zu entwickeln und springt zwischen den Protagonisten immer so hin und her, dass man mitbekommt, was passiert, aber nicht immer sofort versteht, wie das mit der Sennentuntschi zusammenhängt. Ich habe am Ende bei der Auflösung ehrlich gesagt kurz geschluckt, mir auf den Kopf geklatscht und ein Schmunzeln nicht verkneifen können – Michael Steiner und sein Team haben mich da gut an der Nase herumgeführt.

Eine große Rolle spielt auch die schweizer Bergwelt, die sehr gut eingefangen wurde und die Täler/Wälder/Berge im Nebel verbreiten eine völlig eigene Stimmung, die faszinierend schön ist. Die Schauspieler waren mir bis dato unbekannt, aber alle machen ihre Sache ziemlich gut. Ob jetzt Nicholas Ofczarek den naiv-dummen, aber mit Hausverstand arbeitenden Polizisten gibt, Carlos Leal einen auf einem Bergbauernhof urlaubenden Städter, der etwas zu verbergen hat, oder Joel Basman als Stummer Hirtenjunge Albert, genauso wie dessen (Zieh)Vater Andrea Zogg (kein Tippfehler). Die gesamte Truppe hat sich Ehren verdient, niemand fällt negativ aus der Rolle.

Was den ganzen Film aber erst so richtig zusammenhält ist die Leistung von Roxane Mesquida, die ihre wundervollen Rehaugen und ihre ganze Mimik so kindlich-lieb naiv einsetzt, dass man als Mann nur schmelzen kann. Man fühlt sich sofort mit Polizist Reusch vereint, der davon ausgeht, dass die junge Frau ein Opfer ist. Dass Roxane aber auch die wütenden, traurigen, freudigen und ängstlichen Passagen super hinbringt, muss man ihr hoch anrechnen – zumal sie kein Wort sprechen darf, schließlich ist sie ja aus einer „Strohpuppe“ entstanden, oder nicht?

Was ich dem Film sehr hoch anrechne ist, dass nicht der Weg von „In 3 Tagen bist du tot“ gegangen wurde, soll heißen: Es wurden nicht einfach amerikanische Filme Szene für Szene kopiert und neu gereiht, sondern man hat etwas Eigenes geschaffen. Es ist kein Slasher geworden (danke!) – wofür die Szenerie ja quasi geschaffen wäre, sondern ein komplexes, gut durchdachtes Mystery-Thriller-Abenteuer, dass mich von Anfang bis Ende vor dem Schirm gehalten hat und mich immer mit der Frage spielen ließ: Ist sie jetzt ein Dämon/Strohpuppe oder nicht? Am Ende jedoch ist alles klar und deutlich und schön aufgelöst, wenn da diese eine Szene nicht wäre, die uns sagt, dass … oder doch nicht?

Wenn der ORF in Zukunft für solche Projekte mehr Geld ausgibt, darf er von mir aus die Gebühren gerne erhöhen.

„Sennentuntschi“ bekommt von mir 8,5 von 10 die Senner betörende, mysteriöse Punkte

PS: Ein besonders Plus verdient sich auch der/die DVD-Coverkünstlerin des Schwarz-Weißen Posters, der/die eigentlich den ganzen Film im Cover unterbringt … was allerdings erst nach Ansicht des Films Sinn ergibt. Spitze!


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