Baby Reindeer (Serienkritik)

Donny Dunn (Richard Gadd) ist ein Verlierer. Er glaubt er ist Comedian, hält sich mit Kellnerein über Wasser und sieht in Wahrheit kein Land. Eines Tages kommt eine Frau in die Bar. Sie quatschen. Er bringt sie zum Lachen. Sie bleibt sitzen und kommt jeden Tag wieder. Die Frau heißt Martha (Jessica Gunning).

Und Martha hat einen Narren an Donny gefressen. Nämlich so sehr, dass sie immer weiter in sein Leben eintaucht, ihm auflauert und ihn wo es geht ungefragt unterstützt – bis er erkennt, dass sie ihn stalkt und ihn als ihren Besitz sieht.

Irgendwann wird die Sache richtig unangenehm und Donny will sie anzeigen, weil er sich bedroht fühlt … aber dann läuft die Sache emotional aus dem Ruder …

Ich habe von mehreren Seiten gehört, dass „Baby Reindeer“ (de Kosename, den Martha Donny gibt) extrem sehenswert ist, weil so spannend und Stalking ist das Thema und überhaupt eine tolle Mini-Serie. Nun, ja, ich stimme zu, dass die Serie richtig spannend, faszinierend, abstoßend und nachdenklich zugleich ist. Sehenswert auf jeden Fall. Aber sicher nicht für jedes Publikum und für ich aus völlig anderen Gründen. Denn das Stalking ist für mich nicht das Thema des Films. Das Thema des Films ist für mich schlichtweg wie kaputt Donny Dunn ist und wie lange er selbst braucht, bis er das kapiert. Sicher, es gibt einen Grund dafür – den man auch bei etwa der Halbzeit der Serie mitbekommt – aber es ändert nichts daran, wie extrem kaputt er ist.

Denn Martha ist ein Symptom. Da treffen sich zwei Typen, die quasi wie geschaffen sind füreinander. Martha braucht ein Fixum. Sie braucht jemand an den sie sich klammern und der „ihr gehören“ kann. Und Donny? Nun, Donny braucht Aufmerksamkeit. Er braucht sie. Er ist völlig fertig. Seine Karriere existiert nicht. Er existiert, aber ohne Grund. Er wird es nie irgendwohin schaffen. Das ist völlig klar. Alle die seine Comedy-Takes kennen finden sie eher schräg und nicht wirklich witzig. Und es liegt tatsächlich weniger am Publikum, sondern an seinem Humor.

Aber das müsst ihr selbst sehen.

Das für mich faszinierende ist, wie oft Donny sich selbst sprichwörtlich ins Knie schließt. Jedes Mal, wenn Martha ein wenig Abstand nimmt – auf Donnys Wunsch und Drängen oder Drohen – merkt er, dass er nicht mehr gesehen wird, für die Welt nicht mehr existiert und macht etwas scheinbar Dummes oder gut gemeintes und holt Martha wieder zurück in sein Leben.

Als dann später klar wird, was Donny passiert ist und warum er es zugelassen hat, da fallen dann alle Schranken. Ja, es ist schockierend, erschütternd und das Portrait eines Mannes, der am Ende ist und es auch einsieht. Er braucht dringend Hilfe und Schutz – aber nicht (nur) vor Martha, sondern auch vor sich selbst. Eine der eindringlichsten Szenen war für mich als Donny seinen Eltern erzählt, was passiert ist und wie diese reagieren. Das ist nur ein Satz von seinem Vater bzw. zwei. Aber die treffen emotional einfach zu einhundert Prozent ins Schwarze.

Was ich dann schade finde, ist die Reaktion auf solche Serien, die dann scheinbar unausweichlich ist. „Baby Reindeer“ basiert scheinbar auf einer realen Begebenheit, die dem Autor und Hauptdarsteller Richard Gadd zugestoßen ist. Behauptet er zumindest. Wie dem auch sei: Die Story ist grandios erzählt.

Es folgten dann aber Scharen aus dem Internet, der herausfinden wollten, wer denn die Personen, die in der Serie vorkommen im echten Leben sind und wie sie wirklich heißen – was dann zu den mittlerweile zur Schande der Menschheit üblichen Todesdrohungen und Anfeindungen geführt hat. Das ging sogar so weit, dass Richard Gadd sich an die Öffentlichkeit gewandet hat, mit der Bitte das zu unterlassen, da man ihm, Menschen die er liebt und anderen mit denen er zusammenarbeitet Schaden zufüge und das nicht das Ziel der Geschichte gewesen sei.

Wie dem auch sei: Die Serie ist auf jeden Fall für alle mit starken Nerven absolut empfehlenswert. Seid nur gewappnet, da kommen heftige Dinge auf euch zu.

Schauspielerisch ist die Serie ein Hammer. Richard Gadd spielt und spricht großartig. Und Jessica Gunning als Martha ist eine Naturgewalt. Als ich dann gelesen habe, dass die gute Dame nicht mal Schottin ist war ich völlig geplättet. Der Akzent (im englischen Original) ist makellos. Wow, sag ich nur. Wow.

„Baby Reindeer“ bekommt von mir 9 von 10 möglichen, mitreissende, erschütternde und in die Seele eines kaputten Menschen blickende, Punkte.


Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.