Candy Land (2023 Filmkritik)

An einem Truck-Stop irgendwo in der Einöde Amerikas leben ein paar Frauen und ein junger Mann gemeinsam als Sex-Arbeiter:innen in den Tag hinein. Sie haben keine Illusionen und es ist nicht ihr Lebenstraum, aber sie halten sich damit über Wasser und die einhellige Meinung herrscht, dass es durchaus schlimmere Jobs gibt.

Eines Tages werden sie von einem Prediger angesprochen, der ihnen helfen und sie auf den rechten Weg zurückführen möchte, aber die Gruppe lässt ihn ziemlich lieblos abblitzen. Also ziehen er und seine Truppe wieder ihrer Wege.

Kurz darauf steht Remy (Olivia Luccardi) vor der Tür von Sadie (Sam Quartin). Sie war Teil der Predigergemeinschaft, hat aber genug davon und möchte nun endlich ein anderes Leben. Nach zögerlichen Kontakten wird sie in die Gruppe aufgenommen und in deren Arbeit eingeweiht.

Es gibt neben all dem aber ein Problem: nämlich Tote. Zuerst ein einzelner Mann, der auf der Toilette, offensichtlich erstochen und danach rituell positioniert, gefunden wird. Aber nach und nach werden es mehr Tote und die Frage stellt sich, ob die Prediger weitergezogen sind oder vielleicht ein anderes Spiel spielen?

„Candy Land“ ist ein komplizierter Film und die Zielgruppe ist schwer zu beschreiben. Das liegt daran, dass der Film in der ersten Hälfte mehr ein Doku-Drama als ein Horrorfilm ist und dann in der zweiten Hälfte mehr Satire auf Horrorslasher als ernstzunehmender Slasher. Man kann es nicht mal so richtig als Charakterstudie über religiöse Verblendung bezeichnen, denn dazu geht der Film dann doch zu wenig in die Tiefe, also … was ist dieser Film?

Nun, mit zwei Worten kann ich dienen: Sehr gut. Das ist er nämlich wirklich und die oben genannten Faktoren spielen da eine große Rolle. Die erste Hälfte des Films dient nämlich dazu, die Figuren besser kennenzulernen. Die Damen (und der eine Herr) in der Gruppe sind keine dummen Abziehfiguren, sondern tatsächlich eine Gruppe von unterschiedlichen Personen mit unterschiedlichen Motivationen, die sich hier zusammengerauft haben und die auch zusammenhalten. Das wird wirklich super vermittelt und man mag die gesamte Truppe irgendwie. Außerdem wird ihr Leben und ihr Alltag ziemlich kompakt und – wie ich meine – sehr informativ gezeigt. Dass da ein ganzes System an komplexen Regeln und Gesten und ähnlichen Dingen vorherrscht, damit einem niemand (rechtlich gesehen) vorwerfen kann, man würde da wetas Illegales machen und die „Workarounds“, die es dazu braucht … allein das war schon spannend und interessant anzusehen.

Dazu nutzt man natürlich Remy als Neue in der Gruppe, der die anderen alles beibringen und zeigen müssen. Und die junge Dame lernt auch tatsächlich relativ schnell wie das alles funktioniert. Auch die Freier werden nur in Ausnahmefällen als widerwärtige Spinner dargestellt, sondern als Menschen, die halt aus diversen Gründen die Ansprüche von Sexarbeiter:innen in Anspruch nehmen. Sei es der als Weihnachtsmann arbeitende Bruce (Bruce Davis), der sich nach Feierabend Entspannung bei den Damen holt oder der Sheriff, der ja eigentlich einschreiten sollte, aber halt leider in einer konservativen Gesellschaft lebt und verheiratet und schwul ist, weshalb dieser auch immer wieder mal auf die Dienste von Levi (Owen Campbell) zurückgreift und der Gruppe so gut es geht hilft, mal durch wegschauen, mal aktiver.

Was sich halt im Laufe der ziemlich überschaubaren Handlung rasch zeigt ist der Fremdkörper des „Slashers“. Da werden Menschen ermordert und so richtig juckt das niemand. Ich meine, ja man redet darüber man bewegt sich nur mehr in Gruppen aber sowas wie Detektivarbeit, wer das denn nun war … da ist nichts und da kommt nichts. Es wird zwar kurz mal erwähnt, dass es ein Truckstop am Rande des Nirgendwo ist und Ermittlungen keinen Sinn haben, weil der oder die Mörder:innen am nächsten Tag schon wieder irgendwo sein können, aber das ist halt auch irgenwdie … unbefriedigend. Vor allem, als die Leichen dann nach und nach mehr werden. Da muss dann halt schon mal der Groschen fallen, dass eventuell die Täter:in sich doch vor Ort befindet.

Dazu kommt, dass die Zuseher:innen relativ rasch wissen, wer die Hand am Mordwerkzeug hat und es ziemlich befremdlich ist, dass keine der anderen Figuren auch nur im Ansatz Verdacht schöpft, zumal der Verdächtigenkreis doch sehr eingegrenzt und bei kurz Nachdenken sogar auf eine Person reduzierbar ist. Ein paar Morde passieren im hellen Sonnenlicht in Autos von Freiern und – man verzeihe mir – wäre es nicht naheliegend, die Person, die zu diesem Freier ins Auto gestiegen ist vielleicht ein wenig … ich weiß nicht, zu beobachten? Ein Auge auf sie zu haben?

Aber gut – tatsächlich hat mich das nicht groß gestört. Ich habe relativ rasch auf „Ihr wollt also so tun, als würde das niemand merken. Okay, akzeptiere ich.“ umgeschaltet und mir einfach angesehen, wie die Geschichte weiterläuft. Man wünscht der Gruppe ja, dass die es irgendwann schnallen und sie davonkommen oder den/die Mörder:in aufdecken.

Spannend fand ich die Motivation hinter den Taten und es gibt sogar einen Moment, da dachte ich mir: Okay, jetzt ist das Morden vorbei, jetzt geht es um Liebe und Sympahtie. Tja, was soll ich sagen: Falsch gedacht. Ich will jetzt nicht spoilern, aber die Liebesszenen, die dann in Morde übergehen sind von der Person, welche die Morde verursacht, wirklich cool gespielt. Diese Aufregung und sexuelle Erregung, nicht aufgrund des körperlichen Akts, sondern erst, wenn Blut fließt, weil hier ja jetzt quasi Gottes Werk getan wird … das kann man im Gesicht ablesen. Das ist wirklich ziemlich gut gespielt, halbwegs unheimlich und gruselig und auch meistens ziemlich blutig.

Wie oben schon angeführt: Man muss schon mit ein wenig gutem Willen über ein paar offensichtliche Dinge hinwegblicken können, damit dieser Film hier funktioniert. Dafür traut er sich auch was. Allein die Eröffnungssequenz beginnt mit einem oben-ohne-Ritt (im sexuellen Sinn) im Führerhaus eines Trucks und folgt dann diversen Mitgliedern der Gruppe von Auto zu Auto mit immer wieder kurzen Blicken zu den Szenen, die sich dann in den Autos und/oder Toiletten abspielen. In Summe alles harmlos, aber die Musik, der Schnitt und auch die Schriftart der Texteinblendungen – das ist ein cooles Gesamtbild und fängt die Stimmung zwischen „Ist halt Arbeit“, „Sex ist gut“ und „Irgendwann bin ich hier weg“ sehr gut ein.

Das Ende ist dann … seltsam und mutig gleichzeitig, weil es irgendwie mit dem Truckstop wenig zu tun hat, man es nicht kommen sieht und … hm, man halt dann doch merkt, was der Sheriff (William Baldwin) für eine Dumpfbacke ist. Auch davor gibt es eine Szene mit der ich absolut nicht gerechnet hatte, nämlich wird eine Person aus der Gruppe vergewaltigt, was ebenfalls in einem Blutbad endet. Die Szene fand ich tatsächlich verstörend, weil sie knallhart ist und absolut ernst und sich so vom Rest des Films abhebt. Bei all dem „Suspension Of Disbelief“, zu dem man sich im restlichen Film durchringen muss, ist dieser Szene hier absolut realistisch. Aber der Umgang damit war dann wieder … ich weiß nicht … ich fand ihn gut, denn die Person kämpft zwar damit, hat ihre Probleme weiterzumachen wie davor und gleichzeitig wird es mit einer „Kann in so einem Job passieren, auch wenn es Scheiße ist“-Einstellung auch irgendwie nicht so richtig Thema. Ich kann es schwer beschreiben, aber ich mochte diese Ambivalenz.

Die Schauspieler:innen machen ihre Sache sehr gut und eine Zeit lang hatte ich sogar vergessen, dass ich mir hier einen Spielfilm anschaue und dachte, es wäre eine Dokumentation. Da hilft sicher mit, dass die Damen und Herren zum größten Teil einfach unbekannte Gesichter sind.

Alles in allem war ich positiv überrascht und auch wenn man keine Logik erwarten darf, vor allem von den Charaktern wenn es um Hinweise auf den oder die Mörder:in geht, so war ich doch die ganze Zeit über interessiert zu sehen, wie das weitergeht, wie es aufhört und wie es endet.

Gratulation an John Swab, der hier das Drehbuch verfasst und auch Regie geführt hat. In Summe unterhaltsam (aber ich muss nochmals betonen, wie dumm die Aufmerksamkeitsspanne und die Kombinationsfähigkeiten der Damen bzgl. Mörder:innensuche sind. Oder wie egal ihnen diese eine Zeitlang sind. Das muss man aushalten können ohne sich zu ärgern, sonst hält man glaube ich den Film nicht aus) und handwerklich sehr gut gemacht. Eine wirklich spannende Mischung.

Und weil wir gerade bei „Gratulation“ sind – ich hatte Olivia Luccardi („It Follows„) nicht wiedererkannt! Die Dame ist auch bei „Soft & Quiet“ mit dabei, in welchem sie eine andere, heftige, sehr heftige Rolle spielt, und ich habe sie nicht wiedererkannt! Respekt. Gleiche Person, aber völlig andere Wirkung. Fr. Luccardi sollte man im Auge behalten. Und nicht zu vergessen: Owen Campbell, der eine sehr mutige Rolle übernimmt und diese absolut mit Charme und Ausstrahlung zu mehr macht als ich dachte (den guten Mann kenne ich aus „X“ von Ti West). Wow, sag ich nur. Wow.

Was ich am Trailer super finde: Er spoilert nichts! Nichts! Nachdem das ja schon quasi ein Alleinstellungsmerkmal ist: Ansehen!

„Candy Land“ bekommt von mir 7 von 10 möglichen, die Truckstop-Arbeiter:innen als echte Gruppe und sympathische Menschen darstellende, Punkte.


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