Sieben Minuten nach Mitternacht – A Monster Calls (Filmkritik)

Der junge Conor (Lewis MacDougall) hat es nicht leicht, denn seine Mutter (Felicity Jones) hat Krebs im Endstadion. Zu seiner penetranten Großmutter (Sigourney Weaver), hat er nicht die beste Beziehung. Sein Vater (Toby Kebbell) lebt im Ausland und benutzt seine neue Familie als Ausrede, nur selten zu Besuch kommen zu können. In der Schule wird er gehänselt und er hat keine Freunde, mit denen er reden könnte.

Nur durch seine Liebe zum Zeichnen findet er die bitter nötigen, ruhigen Momente. Ansonsten isoliert er sich größtenteils von der Außenwelt. Eines Nachts kurz nach Mitternacht, bebt plötzlich die Erde und ein riesiges Baumwesen (Liam Neeson) erhebt sich, um Conor gegenüber zu treten. Es wird ihn ab nun regelmäßig besuchen und ihm drei Geschichten erzählen, die vierte jedoch, muss Conor vortragen und sich dafür seiner ganz persönlichen Wahrheit stellen…

Verfilmt wurde hier der preisgekrönte, gleichnamige Roman von Patrick Ness aus dem Jahr 2011, der auch für das Drehbuch verantwortlich war. Die ursprüngliche Idee zum Buch hatte die Autorin Siobhan Dowd, die selbst 2007 an Krebs verstorben ist und deshalb ihre Arbeit nicht mehr selbst verwirklichen konnte. Regie führte der Spanier J.A. Bayona (The Impossible), was nicht nur dank der Handhabung von Spezialeffekten, meine Vorfreude für die Fortsetzung von Jurassic World steigen lässt, was sein nächstes Projekt sein wird.

Da der Film finanziell ein Flop war, nenne ich ihn hier einfach mal eine unentdeckte Perle, auf die viel zu wenige Menschen einen Blick geworfen haben. Wie die fantastischen Momente und die traurigen, dunklen Motive aus dem Alltag sich abwechseln und dabei auch miteinander funktionieren, ist ungewöhnlich bewegend und weit entfernt von jeglicher Form von gängigem Kitsch. Dabei werden auch einige Themen behandelt, bei denen nicht nur Kinder Schwierigkeiten haben, mit ihnen umgehen zu lernen, aber das Leben ist eben definitiv nicht immer nur schwarz und weiß.

Es gibt ja so Filme – ich nehme mal an jeder kennt dieses Phänomen – bei denen ich bei sehr emotionalen oder traurigen Szenen, kurz mal wegschauen muss. Hier ist das nicht der Fall, nicht weil alles immer einfach ist, sondern weil man nicht wegschauen kann und es auch nicht will. Die Aussage „hier kommen nur echte Menschen“ vor, war für mich schon lange nicht mehr so treffend, wie in diesem Fall. Jeder zeigt seine Stärke, sein Mitgefühl, jeder macht auch Fehler und lernt etwas dazu, egal ob jung oder alt.

Die Effekte „das Monster“ betreffend bewegen sich ebenfalls auf höchsten Niveau, vor allem die Gespräche mit Conor wirken natürlich und es sieht so aus, als würden die beiden sich tatsächlich gegenüberstehen (und sie sehen sich sogar tatsächlich in die Augen). Wie der Baum dann mit der Umgebung agiert, da wirkt er irgendwie wie ein Fremdkörper, gleichzeitig verschmilzt er aber mit ihr. Die Geschichten des Baumes sind ansprechend im „Wasserfarben-Look“ animiert, düster aber lebendig, bedrohlich und sie kommen ohne klare Identifikationsfigur aus, was erfrischend ist und nicht nur Conor zum Nachdenken anregt.

Es gibt ja die Möglichkeit (wie zum Beispiel bei Pan´s Labyrinth), den Film aus kindlicher oder aus erwachsener Sicht zu sehen. Also entweder gibt es das Baumwesen, dass auf Conor und seinen seelischen Schmerz reagiert hat wirklich und es ist gekommen, um ihm zu helfen. Oder es passiert alles nur in seinem Kopf, er lässt seiner Fantasie freien Lauf, es ist seine Art mit der Situation umzugehen, die ihn sonst überfordern würde. Gegen Ende hin verstärken sich dann Hinweise in eine bestimmte Richtung, doch im Prinzip bleibt es dem Zuschauer überlassen, welche Version ihm/ihr besser gefällt.

Mit ganzem Herzen dabei sind offensichtlich auch sämtliche Darsteller. Felicity Jones (Collide) als kranke Mutter zeigt eine vielschichtige Ausstrahlung, einerseits will sie ihrem Sohn Hoffnung schenken und schöne Momente mit ihm teilen, andererseits muss sie sich mit ihrem Schicksal abfinden und lässt ihm seinen Freiraum und seinen Verantwortungsbereich, der ihn auf ein Leben ohne sie vorbereiten soll. Sigourney Weaver (Ghostbusters) als ihre Mutter liefert einen strengen, um Nüchternheit bemühten Gegenpol, doch kann sie diese Fassade nicht durchgehend aufrecht erhalten.

Kinder können ja oft nervig sein in Filmen, aber Lewis MacDougall (Pan) ist das genaue Gegenteil. Egal was er auch angestellt oder gefühlt hat, ich konnte immer nachvollziehen, wo es herkommt (oder habe es mir zumindest eingebildet). Freunde von OV-Versionen kann ich nur die englische Variante des Filmes empfehlen, denn Liam Neeson (Run All Night) ist großartig als Stimme des Baumes. Eindringlich, tief, besänftigend und fordernd strahlt er beinahe ausschließlich stimmlich eine Reife und ein Wissen aus, was ihn zu einem perfekten Mentor macht, der keine eindeutigen und schon gar nicht einfache Wahrheiten liefert, denn die muss sowieso jeder für sich selbst finden.

Ich mag Filme eigentlich nicht so gerne, die mich zum Weinen bringen (außer sie haben das Wort „Monster“ im Titel). Was ich jedoch schätze, ist wenn das Spektrum der Gefühle die angesprochen werden bei mir, ein breites ist. Oder wenn sich Eindrücke mischen und sich so etwa die Kombination schrecklich und schön zugleich ergibt. Die wunderbare Grundaussage hier, an der auch sämtlicher Zynismus abprallt, ist für mich dass man Situationen gemeinsam bewältigen kann. Dafür muss man sich ihnen jedoch stellen. Dann ist Schönheit auch in Zeiten von Verlust möglich, obwohl man dies oft erst viel später erkennt.

„A Monster Calls“ bekommt von mir 9/10 durch die Macht von Geschichten, das Leben beeinflussen lassende Empfehlungspunkte.


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