Nur eine Frau (Filmkritik)

Aynur (Almila Bagriacik) ist ermordet worden. Sie wurde erschossen. Von ihrem eigenen Bruder. Ein so genannter Ehrenmord. Der Weg, den die Deutsche, deren Familie aus der Türkei stammt, genommen hat, hat nicht in tief religiöse Welt ihrer Herkunftsfamilie gepasst.

Nach ihrem Tod erzählt Aynur rückblickend, wie alles gekommen ist, wie es kam und warum sie der Meinung ist, dass nicht nur die Person, welche den Abzug gedrückt hat, schuld an dem ist, was ihr widerfuhr, sondern auch die Personen rundherum.

Dies ist ihre Geschichte. Und obwohl das Ende bekannt ist, ist der Weg dorthin nicht weniger erschreckend.

Das Ergebnis ist eine Tatsache: Der Mord ist passiert. Der Weg dahin, der in dieser Dokumentation nachgezeichnet wird, ist das Resultat aus Gesprächen und Recherchen und zeigt eine Frau, die mutig damit beginnt, ihren eigenen Weg zu gehen. Zuerst verlässt sie den sie schlagenden Ehemann, dann verlässt sie ihre Familie, die ihr ihren Willen aufzwingen will und letzten Endes wird sie sogar (oder ist knapp davor) sich als Elektrikerin in einer Männerdomäne zu behaupten.

Aber um von A nach Z zu gelangen bricht sie alle Regeln, die ihre Religion und ihre Familie (allen voran ihre Brüder) ihr vorschreiben und der tief religiöse Teil ihrer Familie kämpft mit ambivalenten Gefühlen. Sie lieben ihre Schwester und wollen sie auf den ihrer Meinung nach „richtigen Weg“ zurückholen. Die Methoden sind halt von außen betrachtet eher fragwürdig, wenn ich das mal so diplomatisch sagen darf.

Und am Ende, als klar ist, dass Aynur sich nicht bekehren lässt, sondern weiter ihren Weg verfolgen wird, da gibt es dann nur noch eine Konsequenz und die allerletzte Frage: „Bereust du deine Sünden?“

Als der Film zu Ende war bin ich stumm und starr ein paar Minuten neben meiner Frau gesessen, die genauso sprachlos war wie ich. Mir war nicht klar in welcher Welt wir leben, in welcher Dinge rund um uns (also in diesem Fall in Deutschland, aber machen wir uns nichts vor – diese Geschichte kann sich überall wiederholen) passieren, von denen zumindest ich nur ganz, ganz wenig mitbekomme.

Und um es gleich mal abzuwehren: Nein, ich hatte nicht den Eindruck, dass der Film eine rassistische oder Anti-Irgenwas-Message hatte oder gar als Propaganda gegen den Islam oder ähnliches gedacht war. Hier geht es schlichtweg um eine Frau, die sich emanzipiert und sich von den Werten und Wegen ihrer Elterngeneration trennt, nur um bei jenen in Ungnade zu fallen, die diese Werte als einzigen Weg sehen sich selbst und ihre Welt verstehen zu können. Und welche die Gesetze in ihren heiligen Büchern auch sehr klar vorgelebt bekommen.

Das Erschreckendste an dem Film ist weniger, dass Aynur am Ende ermordet wird. Von der eigenen Familie. Das wirklich erschreckende an dem Film ist, was innerhalb der Familie passiert. An Beeinflussung. An der Veränderung der Familie rundherum, die am Ende der absoluten Überzeugung ist, dass die einzige Lösung der Mord an der eigenen Schwester, die sie großteils ja ehrlich lieben, darstellt. Und am Ende, als die Tat begannen wurde, da sitzt ein junger Mann in einem Gerichtssaal, schüttelt die Uhr, die er als Geschenk für den „Dienst an der Familie“ bzw. der Wiederherstellung der Ehre bekommen hat, in Richtung Zeugin und sein Gesichtsausdruck lässt keinen Zweifel zu, dass er an diesem Punkt der vollen Überzeugung ist, alles richtig gemacht zu haben, es wieder tun würde und die Geste eine absolute Drohgebärde ist: Siehst du, was ich gemacht habe? Siehst du, was auch dir passieren könnte?

Großen Respekt an Sherry Hormann, die bei diesem Film hier Regie geführt hat und noch größeren Respekt an Florian Öller, der das Drehbuch verfasst hat. Das muss eine extrem schwere Gradwanderung gewesen sein, aber sie haben es hinbekommen, einen Film über einen Ehrmord und den Wahnsinn dahinter, zu drehen, ohne auf eine gesamte Religion loszugehen. Und extremen Respekt vor Almila Bagriacik, welche Aynur wirklich mitreißend spielt. Nicht immer sympathisch, aber immer glaubwürdig.

Und die Schauspielerinnen und Schauspieler, welche die Familie von Aynur spielen, vor allem die Brüder: Wow, sag ich nur. Wow. Da läuft es mir kalt den Rücken runter. Alle Achtung und Hut ab.

„Nur eine Frau“ ist eine Dokumentation in Spielfilmform und bekommt von mir 8,5 von 10 möglichen, von allen involvierten großartig gespielte und gemachte, Punkte.


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