Verstehen Sie die Béliers? (Filmkritik)

Paula (Louane Emera) hat ein herausforderndes Leben. Ihre Eltern und auch ihr Bruder sind gehörlos und führen einen Bauernhof samt Milchproduktion. Sie hilft im Stall, im Haushalt und ist sogar am Markt das Ohr und Sprachrohr für die gesamte Familie. Das ändert sich aber, als sie sich in einem Chor in der Schule eintragen lässt, um ihrer heimlichen Liebe Gabriel nahe zu sein. Ihre Freundin Mathilde (Roxane Duran) schleppt sie gleich mit.

Was aber tatsächlich ihr Leben wirklich verändert ist der Chorleiter Fabien Thomasson (Eric Elmosnino), denn er erkennt das in Paula schlummernde Talent und will nicht nur, dass sie am Jahresende mit Gabriel ein Duett singt, sondern sie soll sich auch für die Aufnahme der Chorschule für das französische Radio bewerben. Paula ist hin und hergerissen, denn wie soll sie gerade ihren gehörlosen Eltern erklären, dass sie den Hof und alles im Stich lässt um etwas zu gehen, was sie weder hören noch verstehen können …

Verstehen-Sie-die-Beliers

Der Film ist durch die Bank als eine Komödie inszeniert und der trockene, französische, lebensfreudige Humor kommt auch in der deutschen Übersetzung absolut großartig rüber. Das liegt zum einen an der sehr visuellen Gestaltung des Films, der natürgemäß zwar viel Dialog hat aber wenig Worte braucht, dafür aber umso mehr durch Musik und Gestik und Mimik mitteilt. Verantwortlich für das Funktionieren des Films sind in erster Linie klar die Schauspieler. Allen voran François Damiens, der Rudolpho Béliers absolut großartig spielt und den man sehr, sehr schnell ins Herz schließt. Das Overacting von Karin Viard – und ich meine damit nicht die Gestik und Mimik in der Gebärdensprache, sondern das extreme Reagieren auf manche Entwicklungen – sind teilweise schon hart an der Grenze. Da hat Paula ihren Liebsten bei sich eingeladen, bekommt zeitgleich ihre ersten Tage und die Mutter hat nichts Besseres zu tun, als die blutige Hose im ganzen Haus (unter anderem genau diesem Liebsten) vor die Augen zu halten und freudig zu grinsen? Sorry, aber das tut schon ein wenig weh.

Nichtsdestotrotz ist der Film wirklich gelungen und unterhaltsam. Die Musik ist wirklich wirklich schön und die Farbgebung ist und bunt und knallig, dass es eine Freude ist. Das Drehbuch lässt genug Platz für Humor und witzige Szenen („Sie glauben doch nicht ernsthaft, die Bevölkerung wählt einen Gehörlosen?“ – „Warum nicht? Einen Idioten haben sie ja auch gewählt …“), sowie ernste Untertöne. Interessante Seitenstränge verlieren sich leider allzu rasch und finden kein gut inszeniertes Ende, sondern werden einfach fallengelassen. So bewirbt sich Rudolpho um den Bürgermeisterposten, was natürlich für Aufsehen sorgt, und diesen Verlauf hätte ich gern gesehen. Juckt nur nach der Hälfte des Films niemanden mehr. Oder es gibt einen Gehörlosen, der eher … seltsam spricht und deshalb von allen für blöd gehalten wird, woraufhin ihm Rudolpho vorwirft seinetwegen als Behinderter zu gelten.

Da würde es also ein paar sehr interessante Konfliktherde geben, die sicher auch lustig und gleichzeitig nachdenklich bearbeitet hätten werden können. Leider – wie bereits erwähnt – werden die Off-Screen aufgelöst oder auch gar nicht. Das schwächelt das Drehbuch dann ordentlich, denn ab einem gewissen Zeitpunkt fokussiert man sich nur noch auf den Konflikt von Paula, also „Singen“ oder „Am Hof helfen“ mit Eltern, die mit dem Singen halt überhaupt nichts anfangen können. Mag passend sein, ist super inszeniert, wie gesagt, die Musik ist sehr herzergreifend und Louane Emera liefert einen großartigen Job (im Schauspiel, Gebärdensprache als auch im Gesang) ab, aber … und das kann ich mir nicht verkneifen: Diesen Film (Tochter will Musikerin werden, der Vater ist gehörlos – da gehen die Konflikte los) gibt es bereits und er trägt den Titel „Jenseits der Stille“. Er wurde 1996 in Deutschland gedreht. Ab der Hälfte von „Verstehen Sie die Béliers“ ist es quasi der gleiche Film mit anderer Musik aber denselben Themen und dem gleichen Höhepunkt/Grande Finale, sogar mit dem gleichen Ausgang.

Ich kann nur wiederholen: Der Film war witzig, unterhaltsam und hat vielen Leuten im Publikum die Tränen in die Augen getrieben (ja, er ist wirklich herzerweichend) und auch super gemacht. Mein einziges Manko ist eben: Es gibt ihn schon. Irgendwo in dem Drehbuch versteckt sich der Kampf einer Familie gegen die Vorurteile der Gesellschaft („Behinderung“, Bürgermeister-Kandidatur) und ich finde es schade, dass es nicht dieser Film ist, den ich sehen durfte. Wer sehen will, wie eine junge Frau ihren Weg zur Musik findet und dabei um das Verständnis ihrer gehörlosen Eltern kämpfen muss … seht euch „Jenseits der Stille“ an. Und erst danach „Verstehen Sie die Béliers?“. Warum? Weil „Jenseits der Stille“ der bessere Film ist, aber nur „Verstehen Sie die Béliers?“ diesen typischen französischen Charme hat der ihn unterhaltsam macht obwohl sie die Handlung bereits kennen.

Zitat: „Zweifeln sie an allem, Paula. An allem. Nur nicht an mir.“

„Verstehen Sie die Béliers?“ bekommt von mir 6,5 von 10 möglichen, geklaute, aber unterhaltsame und mir den falschen Film bietende, Punkte.

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