The Walking Dead (Game-Review)

 

The Walking Dead Game 1

Lee Everett hat nicht gerade das große Los gezogen. Aktuell sitzt er auf der Rückbank eines Polizeiwagens, der ihn ins Gefängnis bringt. Das Gespräch mit seinem Fahrer – ein altgedienter Polizist – ist zwar sehr nett, hilft ihm aber auch nicht weiter. Vor allem tut sich auf dem Highway einiges – Polizeiautos rasen in die Gegenrichtung, Wagen mit Sirenen preschen vorbei und über den Polizeifunkkanal kommen sehr beunruhigende Meldungen. Als plötzlich eine Person vor dem Wagen über die Straße torkelt baut der Fahrer einen Unfall.

Lee erwacht kurze Zeit später im Autowrack. Mit Mühe kann er sich befreien und er klettert aus dem Wrack, nur um den Fahrer tot aufzufinden. Aber es sieht nicht aus, als hätte der Unfall ihn getötet, sondern etwas … anderes. Kurze Zeit später trifft Lee in einer verlassenen Siedlung auf ein kleines, achtjähriges Mädchen, dass sich alleine in einem Baumhaus versteckt hält – die kleine Clementine. Die ihm auch sofort – mehr oder weniger – das Leben rettet, als Lee von einem Zombie angefallen wird.

Denn genau das ist passiert – die Welt ist einem Zombiechaos versunken und nun gibt es nur noch ein Ziel: Überleben. Um jeden Preis.Also nimmt Lee die kleine Clementine mit sich und verspricht ihr, ihre Eltern zu finden. Auf dem Anrufbeantworter gibt es erste Hinweise, dass die beiden in Savannah sind … und vermutlich nicht mehr leben.

Die Serie „The Walking Dead“, die ja bereits auf eine Unzahl von Comicbänden zurückblicken kann, ist auch im TV ein großer Erfolg geworden. Eine Tatsache, die ich Frank Darabont zuspreche, denn der Mann hat mit der Verfilmung diverser Stephen King Romane (zB „The Mist“) bewiesen, dass er ein starkes Händchen für Charakterzeichnungen hat. Die Serie folgt dem gleichen Weg der Comics, zeigt die gleichen Figuren – auch wenn die Geschichte an einigen Stellen vom Original abweicht.

Die Adventure-Spiele-Schmiede von Telltale Games hat sich zwar die Comics zur Vorlage genommen – sei es vom Stil der Grafik, als auch ob des harten 18er Ratings – erzählt aber eine völlig eigenständige Geschichte. Dass sich Telltale Games in den letzten Jahren als Produzent von Episodenspielen in meist hochwertiger Atmosphäre und eher leichten Rätsel hervorgetan hat, ist ja allgemein bekannt – so haben die Damen und Herren Spiele zu den Filmen „Jurassic Park“ oder „Back To The Future“ gebastelt, die allesamt zumindest drei Dinge gemeinsam haben: Einen unglaublichen Respekt vor der Vorlage, die Aufteilung in einzelne Episoden, die in Summe eine Geschichte ergeben und – meist eine veraltete Grafik, die den Spielspaß aber nicht im mindesten störte.

The Walking Dead Game 2

Was die Spieleschmiede aber mit „The Walking Dead“ auf die Beine gestellt hat, das sucht aktuell noch seinesgleichen und nach Durchspielen der fünf Episoden verstehe ich auch zu einhundert Prozent, weshalb das Spiel mehr als 80 „Spiel des Jahres“-Titel abgeräumt hat.

Die Idee / Spielmechanik ist sehr simpel – man läuft mit Lee herum, klickt Gegenstände an und kombiniert sie hin und wieder – die meiste Zeit über führt man allerdings Gespräche mit anderen Überlebenden und kann diesen verschiedene Antworten bzw. Fragen stellen – je nachdem wie man auf deren Fragen reagiert, verhalten sie sich einem Gegenüber. Der Clou daran ist – die Personen merken sich eure Antworten und Entscheidungen und konfrontieren euch mitunter später sogar damit, bzw. Verhalten sich euch gegenüber dementsprechend.

Wie gesagt – das klingt sehr simpel. Wäre es auch, wenn das Szenario nicht ein beinharter Überlebenskampf wäre und Telltale Games nicht Charaktere erschaffen hätten, deren Wohlergehen euch bis zum Finale wirklich am Herzen liegt. Allen voran ist da natürlich die kleine Clementine zu nennen, die das Herz des Spielers/der Spielerin innerhalb von wenigen Sekunden gewonnen hat und – im Gegensatz zu anderen Kindern in Spiel und Film – euch niemals auch nur im Ansatz nervt. Im Gegenteil – bei mir hat es nicht einmal bis zum Ende der ersten Episode gedauert, bis ich diesen unglaublichen Beschützerinstinkt ihr gegenüber entwickelt hatte.

Die anderen Charaktere sind ebenfalls durch die Bank klasse geraten und sogar die Unsympathischen sind irgendwie trotzdem so richtig … menschlich. Das macht das Spiel unglaublich spannend, denn Telltale wirft euch in Situationen, die wirklich unglaublich und ungeheuerlich sind – ihr müsst zB relativ bald entscheiden, ob ihr einen kleinen Jungen (der beim Kampf gegen die Zombies keine Hilfe ist) oder einen erwachsenen Mann (den man immer gut gebrauchen kann) retten wollt – für beide ist keine Zeit. Je nachdem, wie ihr entscheidet verhalten sich später die anderen Figuren euch gegenüber – und vor solche Momente werdet ihr die ganze Zeit über gestellt – freilich geht es nur selten darum jemanden zu retten, aber auch andere Optionen wie „Wem verrate ich Lees Vergangenheit? „ oder „Ich habe fünf Portionen Essen, aber sieben Leute zu füttern – wem gebe ich was?“, machen euch die Entscheidungen nicht leicht.

The Walking Dead Game 3

So entfaltet sich die ganze Geschichte – die zwar in ihren Grundzügen fix und unveränderbar ist, sich aber innerhalb eurer Entscheidungen an diversen Stellen teilweise doch recht drastisch
ändert – wenn ihr in Kapitel 1 Person A rettet, begleitet diese euch eine Weile – und verhält sich klarerweise anders als Person B, das kann gut sein, oder auch schlecht. Denn nicht immer ist Gnade die beste Methode in einer Welt, in der das Grauen herrscht. So gibt es zum Beispiel relativ weit am Anfang einen Punkt, an dem ein Mitglied der Gruppe verdächtigt wird, gebissen worden zu sein – was bedeutet, dass er/sie sich langsam in einen Zombie verwandeln und dann über die Gruppe herfallen wird – beschützt man diese Person, weil man eben nicht genau weiß, ob sie gebissen wurde und gefährdet man – für den Fall, dass sie gebissen wurden – die restliche Gruppe? Oder geht man den anderen Weg und stellt man sicher, dass sie in keinem Fall mehr eine Gefahr darstellt?

Telltale Games schaffen mit „The Walking Dead“ etwas, was so noch kein Spiel davor mit mir geschafft hat – ich reflektiere mein Verhalten permanent. Wollte ich das? Sollte ich A oder B tun? Kann ich das rechtfertigen vor mir? Ist das ein gutes Vorbild für Clementine? Wenn ich A tue, bringe ich dann Clementine bei, zu überleben, oder gaukle ich ihr vor, dass die Welt ein netterer Ort ist, als er ist? Und wenn ja – wird sie das letztlich das Leben kosten?
Ihr seht schon – die Spirale läuft und dreht sich – und das haben Telltale trotz der simplen Spielmechanik und der zweckdienlichen Grafik absolut geschafft.

Ich wusste mehr als nur einmal nicht, was ich jetzt sagen sollte, als Clementine oder eine/r meiner Mitreisenden mit fragte, warum ich dies oder jenes getan habe. Also habe ich geschwiegen – auch das ist bei „The Walking Dead“ eine Alternative. Das bedeutet dann freilich, dass sich mein Gegenüber sein/ihr eigenes Bild von mir machen wird. Ein Bild, dass mir möglicherweise a) nicht gefällt und b) vielleicht trotzdem näher an der Realität ist, als jenes, dass ich mir selbst gemacht habe?

So können – nein, so MÜSSEN – Spiele für Erwachsene sein: Zum Nachdenken anregen und mit Momenten ausgestattet sein, über die man noch lange grübeln kann (aber nicht muss).

„The Walking Dead“ bekommt von mir 9,5 von 10 möglichen, die kleine Clementine beschützende und dafür alles aufopfernde Punkte.

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