Audrie & Daisy (Filmkritik)

Es beginnt mit einer Party. Es beginnt mit Alkohol. Es beginnt mit einer Gruppe von Jungs, die sich wie Vollidioten benehmen. Es beginnt damit, dass Intimität nicht mehr als Intimität gesehen wird. Es beginnt mit Handy und Filmen und Fotos und Internet und Facebook und Social Media.

Es endet im Selbstmord. Es endet im Selbsthass. Es endet in Anklagen, in Gerichtsverfahren, in Schuldzuweisungen, in „Victim Blaming“, in Freisprüchen, Schuldsprüchen und einem letzten Akt an Aufbegehren.

Es ist die Wahrheit.

Durch Zufall bin ich auf diese Dokumentation gestoßen, denn eigentlich bin ich kein großer Fan von Dokumentationen. Diese hier hat mich interessiert. „Audrie & Daisy“ beleuchtet mehrere Lebensgeschichten, die sich in Amerika zugetragen haben. Eine davon endet im Selbstmord. Eine andere in Selbsthass. Wieder eine andere im Wunsch anderen zu ersparen, was man selbst erlebt hat. Alle enden darin, dass die Täter*innen nicht einmal bemerken, dass sie Täter*innen sind.

Der Film besteht aus Interviews mit Familienangehörigen, Täter*innen, Opfern, Polizisten und diversen anderen. So verschieden die Geschichten sind, so passiert im Grunde immer das gleiche: Junge Mädchen werden von jungen Burschen vergewaltigt.

Party, Alkoholeinfluss, ein „zu leises“ Nein. Burschen, die sich gegenseitig anfeuern und dabei filmen oder Fotos machen und teilweise nicht einmal verstehen, dass sie da gerade sexuell übergriffig sind.

Und das ist das Schlimme daran: Hört man die Täter*innen sprechen, so fällt auf, wie wenig sie verstanden haben, was sie falsch gemacht haben. Das tut auf allen möglichen Ebenen weh, denn wir sprechen hier nicht von Vorfällen aus dem Jahre 1999 sondern Vorfällen, die in einer Zeit passiert sind, in der sie schon längst nicht mehr hätten passieren dürfen. Weil irgendjemand in der Gruppe hätte sagen müssen: Stopp!

Ich tue mir schwer, den Film zu empfehlen, weil er wirklich mitnimmt und gerade die Interviews streckenweise wirklich kaum auszuhalten sind. Die Sicht auf die Vorkommnisse wird nur aus Perspektive der Opfer dargestellt – der Film ist also klar parteiisch. Natürlich könnte man jetzt sagen, Person A hatte betrunken mit einem Jungen Sex und wollte ihn dann verleumden, weil es ihr peinlich war und bla bla bla. Ganz ehrlich? Juckt mich alles nicht. Sieht man die Interviews mit diesen (nicht mehr ganz) Jugendlichen, dann ist mir das völlig egal, denn allein in den ersten zehn Minuten höre ich, wie Dinge passieren, die nicht passieren dürften.

Alles was danach folgt ist dann nur noch schlimmer. Vor allem – und das ist der Wahnsinn – die Folgen auf Social Media, in der Schule und für das Leben. „Public Shaming“ glaube ich, wird das genannt. Und ja, es treibt Menschen in den Wahnsinn.

Mir fiel während dem Film wieder ein, wie sehr manche Menschen sich über „13 Reasons Why“ (bzw. „Tote Mädchen lügen nicht“) aufgeregt haben. Jetzt denke ich mir: Diese Serie (die ich auch davor schon wichtig und mutig fand) ist noch wichtiger als ich dachte, denn jede – jede! – der (wahren) Geschichten in dieser Dokumentation spielt sich genauso ab, wie es in der Serie gezeigt wird. Und eine davon hat das gleiche Ende.

Erschreckend, erschütternd, deprimierend – und ein Grund mehr offen über dieses Thema zu diskutieren und meinen Geschlechtsgenossen bereits in jungen Jahren klarzumachen, dass „Bitches“ und „Hoes“ und was weiß ich noch alles, eben genau das nicht sind. Und jedes Mal, wenn ich in der Straßenbahn oder im Zug ein Mädchen zum anderen (freundschaftlich) sagen höre „He, du Bitch, gemma Billa“ zucke ich innerlich zusammen.

Emanzipation, Gleichberechtigung, Gleichbehandlung, das Ende von sexuellen Übergriffen, bzw. überhaupt das Bewusstsein(!) über sexuelle Übergriffe (Schande!) … wir sind noch weit entfernt.

„Audrie & Daisy“ bekommt von mir 9 schockierende, tragische Punkte.

Die Dokumentation gibt es auf Netflix.


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