Das Brandneue Testament (Filmkritik)

Es ist schon verdammt deprimierend. Wenn der Vater (Benoit Poelvoorde) ein fauler Sack ist, der nie aus der Wohnung geht, seine Freude daran hat Menschen mit Unfällen und Schicksalschlägen zu quälen und auch noch hin und wieder seinen Frust mit dem Gürtel an der Tochter auslässt, dann ist es Zeit für die Flucht. Und genau das hat Ea (Pili Groyne) auch vor. Abhauen, denn Papa ist irre, Mama spricht nie und putzt nur die ganze Zeit und alles ist trist.

Also fragt sie gleich mal ihren Bruder Jesus (David Marguia) – denn immerhin hat der es geschafft auf die Erde abzuhauen – nach einem Fluchtweg und setzt vorher noch Papas Göttermaschine (sprich: Computer) außer Kraft, denn die kleine Ea will jetzt ihr eigenes Testament und ihre eigenen Apostel …

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Das klingt nach einer ganzen Menge Irrsinn, sagen Sie? Das klingt, als könnte man das in einem einzigen Film gar nicht auflösen, sagen Sie? Da müssen doch Fragen offenbleiben, meinen Sie? Stimmt alles. Aber im Falle von „Das brandneue Testament“ ist das überhaupt nicht schlimm, denn das Ende des Films ist absolut abgehoben und dermaßen drüber, da stellt man keine Fragen mehr, weil man weiß: Da ist alles möglich und irgendeine Erklärung wird es schon geben.

Die Prämisse des Films ist eigentlich nur ein Vorwand für viele einzelne und seltsame Geschichten über das Leben, die Liebe, den Tod, die Hoffnung und nochmals: Das Leben. Sogar ein wenig Sodomie ist dabei. Zumindest wenn man das sickern lässt, aber nur die Ruhe: Nichts davon ist peinlich, sondern regt zum Schmunzeln an. Die WIRKLICHE Geschichte des Films ist nämlich, dass Ea, die Tochter von Gott, denn niemand anders ist der beschriebene Ungust in der Einleitung, es satt hat und allen Menschen auf der Welt ihren Todeszeitpunkt nennt. Alle haben auf ihren Uhren oder Handys einen Countdown laufen, wie lange sie noch zu leben haben.

Das bedeutet natürlich vor allem eins: Es gibt keine Schicksalsschläge mehr und die Reaktionen auf die genaue Kenntnis des Todestages entspannt manche Leute ziemlich und wieder andere kriegen ein wenig Stress. Meist abhängig davon wie weit das Datum noch entfernt ist.

Im Zuge dieser gewaltingen Umwälzungen sucht Ea ihre sechs Apostel und findet dabei halbwegs kaputte Typen. Eine Frau, die nur einen Arm hat und sich isoliert. Einen Profikiller, der mittlerweile Frau und Kind hat, aber keine Liebe mehr spürt. Eine Frau, die ebenfalls die Liebe sucht und diese in den Armen eines Riesengorilla findet. Ein Junge, der beschlossen hat ein Mädchen sein zu wollen und ein Mann, der einfach nur da sitzt und die Welt beobachtet bis ihm ein Vogel den Weg zeigt.

Während dieser ganzen Zeit wird Ea von ihrem Vater – der ebenfalls auf die Welt herunter kommt – gesucht, aber er tut sich ein wenig schwer, denn er hasst die Menschen und ist alles andere als freundliche zu ihnen. Ganz so, wie er es über seinen Computer schon immer getan hat. Das führt dazu, dass er mal gleich zusammengeschlagen wird. Kurz darauf will ihn ein Priester, dem er offenbart, dass er Gott ist, erwürgen und dann muss er noch dazu feststellen, dass er nicht ganz so einfach wie sein Sohn damals übers Wasser gehen kann. Der ist ohnehin das Highlight – Jesus hat zwar nur kurze Auftritt im Film, aber wann immer er vorkommt hat er die besten Dialoge. Dazu kommt noch ein Obdachloser, den Ea mitnimmt, um ihre Chronist bzw. Evangelist zu sein. Der schreibt halt nur langsam, dafür kommen schöne Metaphern raus.

Jaco Van Dormael hat ein Händchen für eine routinierte Regie und ein Auge für schöne Bilder (ich kenne von ihm nur „Der achte Tag“, den ich großartig finde). Der Irrsinn wird in realistische Szenen mit surrealen Inhalten und noch surrealeren Dialogen gepackt und schon ist man mittendrin. Pili Groyne ist ein verdammt süßes Mädchen, dem man seine empathische Distanz (klingt nach Paradox, ist es in diesem Fall aber nicht) glaubt und sehr rasch sympathisch findet. Manche Szenen sind sehr langsam, gerade wenn die Apostel ihre Geschichten erzählen. Zum Glück bleibt es immerzu surreal genug um die Neugier des/derZ Zuseher/in aufrecht zu erhalten. Da gibt es zB jemand mit einer schönen Stimme, der todunglücklich ist und Ea empfiehlt ihm, seine Stimme zu nutzen. Durchschnittsmensch der ich bin, glaube ich, der wird jetzt Sänger. Nein. Er wird Synchronsprecher für Pornofilme. Das mit dem Stöhnen, das kann er nämlich. Das meine ich: Man hat zwar Ideen, was passieren wird, aber meistens liegt man (zumindest ein wenig) daneben.

Ein Film also, der es schafft gleichzeitig befremdlich und bezaubernd zu sein, mit einem Ende, das auf alle Fälle als Kitschbalken durchgeht, andererseits so aber auch einhundertprozentig niemand kommen sieht.

„Das brandneue Testament“ bekommt von mir 7 von 10 möglichen, etwas Übertreibende, aber schön durchgeknallt seiende, Punkte.

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