We Need To Talk About Kevin (Filmkritik)

Frust. Das trifft die Emotion wohl am ehesten, die Eva Khatchadourian (Tilda Swinton) verspürt, als sie ihren Job aufgeben muss, um ihren Sohn Kevin Zuhause zu betreuen. Frust. Andere haben Muttergefühle und gehen in Karenz, aber nicht Eva. Die „gibt ihren Job auf“. Ehemann Franklin (John C. Reilly) sieht das nicht so eng, kein Wunder. Er hat ja seinen Job noch.

Als der kleine Kevin sich aber nach und nach immer bösartiger verhält und seine Mutter scheinbar absichtlich psychisch quält, da werden die Aggressionen immer mehr und langsam erhärtet sich der Verdacht: Es stimmt etwas nicht mit Kevin. Psychologen, Ärzte, all das hilft nicht. Außerdem glaubt Franklin ja auch nicht, dass etwas nicht in Ordnung ist. Als Kevin Jahre später an der High School ist, kommt es zum Schlimmsten …

We Need To Talk About Kevin Film Tilda Swinton

Der Film „We Need To Talk About Kevin“ basiert auf dem gleichnamigen Buch von Lionel Shriver. Ein Briefroman, der nur aus den Briefen von Eva besteht. Das Dilemma an der Sache ist, dass die Art und Weise, wie das Buch erzählt wird ein paar Dinge völlig klar macht: Wir sehen bzw. lesen durch die Brille von Eva. Alles, was wir lesen sind die Ereignisse, wie Eva sie erlebt hat. Das bedeutet nicht, dass es so gewesen ist, sondern nur, dass Eva die Dinge so gesehen bzw. in Erinnerung hat. Der Film hat damit meiner Meinung nach ein ziemlich großer Problem, denn hier ist nie so richtig klar, ob wir hier „nur“ Evas Version sehen, oder doch die „Tatsachen“.

Regisseurin Lynne Ramsay gibt sich erhebliche Mühe uns dieses „Bild“ des Buches zu vermitteln, so beginnt der Film nach Kevins Amoklauf (jeder, der/die ein wenig was in der Birne hat, weiß nach den ersten Minuten worauf alles hinausläuft) und zeigt Eva in ihrer aktuellen Situation, wie sie mit der Vergangenheit umgeht und wie die anderen Bewohner auf sie reagieren. Regisseurin Ramsay versucht durch Rückblenden, die Ereignisse aufzurollen, die Eva in diese Situation gebracht haben. Das funktioniert auch wirklich gut, denn die Rückblenden sind nicht wirr durcheinander, sondern wirklich schön chronologisch, sodass eines zum anderen führt.

Wer das Buch kennt und die damit einhergehende Sichtweise (eben, dass es Evas Version ist), wird bemerken, dass sich die Filmemacherin sehr darum bemüht dies auch den Zuseherinnen zu vermitteln, da sie vor Rückblenden meist eine Weile mit der Kamera auf Tilda Swinton („Michael Clayton“, „Burn After Reading“, „Constantine“, „Young Adam“) verharrt, was vermutlich zeigen sollen, dass wir uns jetzt ins Evas Kopf befinden. Das funktioniert allerdings nicht bei Leuten, die das Buch nicht kennen – diese Leute werden die Szenen, welche in der Vergangenheit spielen als Tatsache sehen und damit ein Problem haben, denn Kevin wird hier bereits als Kleinkind ziemlich dämonisiert – was Sinn hat, wenn man den Frust von Eva als Fokus nimmt und den damit einhergehenden Hass auf das eigene Kind, das der Mama das Leben absichtlich total zur Hölle macht.

Schauspielerisch gibt es am ganzen Film nichts zu meckern – Swinton ist super wie immer (auch wenn sie nicht alle ihre Facetten ausspielen kann), John C Reilly („Wreck It Ralph“, „Cirque Du Freak“, „#9“) als Vater ist wundervoll abwesend und wenn er da ist, dann ist ja klar, dass es alles in Butter ist (wiederum nur Evas Version) und Kevin selbst ist als Baby (Rock Duer) unheimlich, als Kleinkind (Jasper Newell) ein wenig seltsam (wie gesagt, Das Omen!) und als Teenager (Ezra Miller, „Vielleicht lieber morgen“, „Afterschool“) das Böse in Person. Auch wenn er sich immer wieder Mal nett gibt, so ist er einfach trotzdem permanent ein unsympathischer Kotzbrocken.

Dass der Film visuell absolut überzeugen kann ist eine der großen Stärken des Films, denn Ramsay schafft es tatsächlich trotz der vielen Zeitsprünge eine dichte Geschichte zu erzählen und die Spannung hoch zu halten – dennoch bleiben viele Logiklöcher zurück. Sicher kann man die damit erklären, dass es eben nur die Erinnerungen von Eva sind, die man sieht, aber dennoch fehlen mir viele, ganz viele Bausteine, die aus der Geschichte ein Ganzes machen. Was ich absolut schade finde, denn der Film und das Thema hätten so richtig Potential gehabt. Vor allem die Szene, in welcher Eva entdeckt, wer hinter dem Schulmassaker steckt ist ein emotionaler Kinnhaken, der – obwohl man ihn kommen sieht – spannungsgeladen inszeniert ist und von Swinton perfekt gespielt wird.

Deshalb verstehe ich dann nicht, weshalb der Amoklauf mit einem Bogen gemacht werden musste. Sicher – man spart sich die Erklärung, wie Kevin an Waffen kommen konnte, aber jeder Bogenschütze wird mir zustimmen, dass ein durch die Schule laufender Amokschütze mit Bogen wohl nicht allzu lange Amok laufen wird – immerhin sind wir Menschen und kein Legolas, der in 0,2 Millisekunden den nächsten Pfeil eingelegt hat. Das ist der Moment, an dem der Film (leider) für mich ins Peinliche kippt. All die anderen Dinge könnte ich aus dramaturgischen Gründen noch ignorieren, da die Spannung hoch ist, aber da hab ich dann leider einen Lachanfall bekommen. Auch die Tatsache, dass der Amoklauf in „kunstvollen“ Bildern ohne Blut und Co gezeigt wird, während zwei anderen Tote (außerhalb der Schule), dann doch von Pfeilen zerschossen sehr deutlich gezeigt werden, ist nicht sehr konsequent und ich verstehe diese Entscheidung nicht (auch wenn ich eine Vermutung habe, die ich aus Spoilergründen nicht nennen kann).

Alles in allem ist „We Need To Talk About Kevin“ ein verdammt guter Versuch eine sehr komplexe Materie mit einem ähnlich komplex gemachtem Film näher zu beleuchten. Wer einen Erklärungsversuch erwartet, wird aber enttäuscht werden. Dies ist schlicht ein Spielfilm, der „auf Arthouse“ macht, ohne – für mich – eine große Message zu verbreiten. Erschreckend in seiner Geschichte, aber belanglos in seinem Diskussionsbeitrag.

Wirklich Potential hätten die Besuche von Eva bei ihrem Sohn im Gefängnis gehabt, die anfangs kein Wort miteinander sprechen und dann doch wieder ein paar Worte tauschen – bis Eva ihn irgednwann Fragen kann: „Warum hast du es getan?“ und Kevin – mit Tränen in den Augen – antwortet: „Ich dachte immer, ich wüsste den Grund. Aber ich bin mir nicht mehr sicher.“

„We Need To Talk About Kevin“ (was sie übrigens nie tun im Film. Über Kevin sprechen, meine ich) bekommt von mir 7,5 spannende, arthouseige, aber dennoch leider am Ende scheiternde Punkte.

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