Joker: Folie á deux (Filmkritik)

Nachdem Arthur Fleck (Joaquin Phoenix) sechs Menschen ermordet und einen Aufstand in der Stadt ausgelöst hat, ist er nun in Arkham in einer Anstalt. Seine fünfzehn Minuten Ruhm sind vorbei. Die Tage vergehen einer wie der andere und er hat sich mit seinen Wachen arrangiert. Man mag sich vielleicht nicht, aber man ist nett zueinander, auch wenn man sich hin und wieder gegenseitig neckt.

Das ändert sich als Lee Quinzel (Lady Gaga) auftaucht und Arthur beichtet, dass sie in liebt, seit ihn das erste Mal im TV gesehen hat. Nein, stopp – sie liebt Joker, seit sie ihn das erste Mal im TV gesehen hat. Und Arthur ist doch Joker, oder?

Durch Lee inspiriert beginnt Arthur sich gegen seine Lethargie aufzubäumen. Gegen den Willen seiner Anwältin, die ihre Verteidigung so auslegt, dass Arthur eigentlich eine gespaltene Persönlichkeit hat und gar nicht der Joker ist, nimmt er wieder immer mehr die Verhaltensmuster von Joker an. Und nicht nur Lee gefällt das. Vor dem Gericht steht eine Menschenmenge – und nicht nur eine Person darin trägt Jokers Schminke im Gesicht …

Respekt. Respekt vor Todd Philipps und Scott Silver, die auch beide das Drehbuch zum ersten „Joker“ geschrieben haben. Sie gehen keine Kompromisse ein, sondern ziehen gnadenlos ihr Ding durch. Und dieses Ding hat es in sich, verlangt aber auch viel von seinen Seher:innen. Zum Beispiel die eigene Erwartungshaltung zu ignorieren. Und vermutlich sollte man auch die Marketing-Abteilung verklagen, denn alle Trailer und Vorschauen führen euch völlig in die Irre. Und damit meine ich nicht den Musical-Teil des Films, denn von dem weiß man im Regelfall ja schon bevor man den Film sieht (auch wenn der Anteil weit weniger war als ich dachte).

Ich gehe mal davon aus, dass Philipps und Silver bereits vor dem Dreh wussten, dass der Film krachend am Box-Office scheitern wird. Das liegt in der Natur der Sache und passt für mich auch perfekt zum Film und seiner Geschichte, denn – seht ihr: Alle dachten, es würde um den Joker gehen. Alle meinte, wir würden im zweiten Teil endlich den Wahnsinn des Jokers sehen in voller Joaquin Phoenix-Eleganz. Aber Nein. Nicht hier. Das ist eine andere Geschichte. Eine, die den Weg des ersten Teils konsequent weiterdenkt.

Der erste Teil erzählt von einem Menschen, dem so viel Schlimmes passiert und der für die Welt völlig irrelevant ist, dass er irgendwann durchdreht und in einer Art Rausch und Wahn sechs Menschen ermordet. In einer gesellschaftlich geplagten Zeit wird er zum Helden hochstilisiert – zum Joker. Damit endet der Film.

Wie lange kann so ein Hoch, so ein Rausch anhalten, wenn einem gezeigt wird, dass die Welt sich immer noch nicht um einen schert? Nicht lange. Deshalb ist Arthur Fleck in „Folie á Deux“ auch wieder Arthur Fleck. Die Wut ist weg. Der Hass ist weg. Das Aufbegehren war genau das: Ein Aufbegehren. Und zwar zu einem Zeitpunkt, der ihn zu einer Ikone machte. Für etwas, was er getan hat, nicht für das, wer er ist. Tatsächlich hat noch immer niemand Arthur Fleck gesehen. Tatsächlich ist er immer noch ein armes Würstchen. Ein trauriges, bemitleidenswertes, hilfsbedürftiges Würstchen, aber dennoch ein Kasper. Eine traurige, tragische Gestalt.

Das ändert sich erst, als er Lee kennenlernt. Und Lee liebt den Joker. Sie liebt seinen Nihilismus. Sie liebt seinen Hass auf die Welt. Sie liebt, das, was sie im Fernsehen gesehen hat. Und Arthur Fleck wird zum ersten Mal in seinem Leben gesehen. Und scheinbar sogar geliebt. Je länger er mit Lee zusammen ist, desto mehr wird er wieder zum Joker. Nicht weil er es fühlt, sondern weil sie ihn nur so sieht. Und Lee macht alles, um Arthur in diese Richtung zu drängen.

GROSSER SPOILER: Aber Arthur hat keine Wut mehr. Er hat keinen Hass mehr. Er hat Liebe. Liebe für Lee. Und wenn es dann drauf ankommt, dann kann er die Show – den Joker spielen – nicht länger am Leben halten. Er knickt ein und bekennt sich offen dazu, nur Arthur zu sein. Arthur Fleck, der aus Frust und Wut sechs Menschen getötet hat. Eben diese tragische, traurige Gestalt. Leider vergisst er dabei, dass Lee die Figur des Joker liebt – Arthur ist ihr völlig egal.

Und das gilt für alle anderen ebenfalls. Nochmals GROSSER SPOILER: Als ein paar Typen als Joker verkleidet ein Loch in den Gerichtssaal sprengen, da wollen sie den Joker befreien, aber sie treffen nur auf Arthur. Und der flieht vor ihnen. Weil er nicht der ist, für den sie ihn halten. Und das Ende des Films hämmert die Message mit dem Dampfhammer rein: Wenn du der Welt nicht bietest, wofür die Welt dich hält, dann rächt sich diese Welt für den scheinbaren Verrat. Wenn alle Arthur für den Joker halten, weil sein einziger „schlechter Tag“ so hochstilisiert und als Akt der Rebellion gefeiert wurde, man ihn zu einer Ikone „der Bewegung“ gemacht hat, dann muss die Realität wie ein Schlag ins Gesicht wirken. Das ist kein Rebell – das ist nur ein trauriger, kaputter Mann. Und dann werden die Rufe laut: Wie konnte er uns so betrügen? Verräter! Und dann folgt die bittere Konsequenz.

Dass daraus, aus der Enttäuschung, aus dem Entsetzen darüber, was für ein „Waschlappen“ Joker eigentlich ist, etwas Neues, gefährliches – zum Beispiel der Joker – entstehen kann, nun, das scheint fast ein Naturgesetz.

Alle, die also dachten, es würde im zweiten Teil um den Joker gehen – nun, die haben sich geirrt. Es geht tatsächlich nicht mal um Arthur Fleck. Es geht darum, wie eine Gesellschaft oder zumindest eine Gruppe davon, einen einmaligen, zufälligen(!) Event so hochstilisiert und als fast heiligen Akt feiert, dass die Erkenntnis über die eigentliche Banalität darüber in Wut und Enttäuschung gegen genau die Person umschlägt, die zuerst gefeiert wurde.

Gibt ja genug Beispiel dafür in der Gegenwart. Du entsprichst nicht meiner Erwartung? F*** you! („The Last Of Us Part II„, „Dragon Age: The Veilguard“, um nur zwei Beispiele zu nennen) Darum geht es um den Film. Arthur ist nur das fallende Symbol dazu. Passend dazu, wie jetzt alle über Philipps herfallen. Wenn das mal keine Parallele zum Film ist, seine Message bestätigt und dem Drehbuch einhundertprozentig recht gibt, dann weiß ich auch nicht.

Produktion und Schauspiel sind wie gewohnt auf hohem Niveau: Phoenix spielt wieder großartig. Sogar Lady Gaga, die ich üblicherweise nur sehr schwer aushalte, fand ich hier wirklich gut. Die Sets sind cool, die Lieder kennt man und ja – Phoenix schneidet beim Singen nicht ganz so toll ab, aber damit war zu rechnen.

Philipps und Silver hatten Mumm, diesen Film so zu machen und ich habe großen Respekt davor. Mir war die über zwei Stunden auch nicht langweilig und sie vergingen ziemlich schnell – einzig gegen Ende hat man es dann ein wenig zu sehr in die Länge gezogen, aber in Summe: Wow.

Für mich war „Folie á Deux“ die fast perfekte Fortsetzung des ersten Teils. Mir ist klar, dass ich mit dieser Meinung sehr allein dastehe und wer den Film anders sieht als ich: Bitteschön, ich habe ja kein Recht auf „die Wahrheit“ gepachtet, aber wenn ihr den Film noch nicht gesehen habt und ihr guckt ihn euch an, dann denkt an meine Worte: Erwartet euch keinen Film in dem ihr einen Joker findet, sondern die Geschichte eines Mannes, in dessen Taten viel zu viel hinein interpretiert wird und der mit allen Konsequenzen daran scheitert, die dahinter liegende Erwartungshaltung zu erfüllen – dann, ja, dann seht ihr einen richtig gut gemachten Film.

„Joker: Folie á Deux“ bekommt von mir 9 von 10 möglichen, eine grandiose Story ein wenig schräg erzählt bekommende, Punkte.

PS: In einem Interview meinte Quentin Tarantino, dass Philipps der Joker sei. Viele haben das verstanden als „Er hat uns übers Ohr gehauen.“ Ich denke Tarantino meinte genau das, was ich hier beschrieben habe. Ironie, irgendwer?


Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.