Baldur’s Gate III (Game-Review)

Es ist kein guter Tag. Zuerst werdet ihr von den Illithid entführt – eine Rasse, die durch die Dimensionen springen kann – und dann wird euch auch noch ein Wurm ins Hirn gepflanzt, der euch innerhalb von wenigen Tagen komplett übernehmen und zu einem der ihren machen wird. Aber dann kommt ihr frei und werdet von einer fremden Macht gerettet. Allerdings habt ihr immer noch den Wurm im Kopf.

Also ist das Ziel klar: Den Wurm loswerden und verhindern, dass ihr zu einem der „Gedankenschinder“ werdet. Relativ rasch trefft ihr auf weitere Überlebende, welche das gleiche Schicksal erfahren haben wie ihr. Und diese schließen sich euch an, denn alle wollen – ausnahmslos – den Wurm loswerden.

Als ihr nach und nach Möglichkeiten entdeckt, wie das vielleicht(!) funktionieren könnte, kommt ihr einer Sache auf die Spur, die viel größer ist als „nur“ ein Wurm in eurem Kopf. Die Illithid sind nämlich nicht das Problem. Sie sind ein Symptom. Hinter den Kulissen zieht nämlich eine Art neuer Gott die Fäden. Der „Absolute“. Und er oder sie oder es hat den Plan, sich die gesamte Schwertküste unter den Nagel zu reißen.
Und ihr seid Teil dieses Plans, ob ihr nun wollt oder nicht …

„Baldur’s Gate“. Der Name allein lässt mich ein wenig schaudern, denn der erste und vor allem der zweite Teil mit dem Zusatz „Schatten von Amn“ haben mir damals, vor über zwanzig Jahren, beim Erscheinen viele, ganz viele Stunden an Rollenspielfreiheit geschenkt und Momente, Charaktere und Möglichkeiten gezeigt, die ich davor nicht für möglich gehalten hätte.

Ich bin seither dem Rollenspiel-Genre verfallen. Wenn es zwei Spiele gibt, die mir die Liebe zu diesem Medium – Computer- und Konsolenspiele – fast aufgezwungen haben, dann waren das „Monkey Island“ und „Baldur’s Gate“. Ich habe sie geliebt. Tue es heute noch. Anders als „Baldur’s Gate“ habe ich allerdings die ersten drei „Monkey Island“-Spiele noch dutzende Mal durchgespielt. „Baldur’s Gate“ war damals schon lang und ich hatte nie die Muse es nochmals neu anzufangen, auch weil es dazwischen so viele andere gute Spiele gab, die ich ohne durch „Baldur’s Gate“ auf den Geschmack gekommen zu sein, sonst versäumt hatte. Und ehrlich: Diese erste Erfahrung hat keines der folgenden Spiele überbieten können.

Bis heute.

Denn, um es gleich vorweg zu sagen, „Baldur’s Gate III“ wird dem Hype gerecht. Absolut. Das bedeutet nicht, dass es für jedermann oder -frau bedingungslos zu empfehlen ist, aber es bedeutet, dass es das, was es macht, unvergleichlich gut macht. Nämlich ein ROLLENspiel zu sein. Es macht einfach einen riesengroßen Unterschied, mit welcher Figur ihr euch ins Getümmel werft. Ob ihr eine menschliche Bardin spielt oder einen zwergischen Krieger – das Spiel spielt sich anders. Situationen laufen anders ab, Figuren reagieren (nicht alle, klarerweise) anders auf euch. Und die Entscheidungen, die ihr während des Spiels – oftmals auch ohne es zu merken – trefft, die werden euch immer wieder einholen und eure Taten haben wirklich Konsequenzen. Spürbare Konsequenzen.

Meine Figur im ersten Durchlauf war eine weibliche Bardin namens Tavrasate. Ihr seht das Bild oben. Und was soll ich sagen: Ich habe mich in meine Figur verknallt – und nicht nur ich. Die Angebote zum Beischlaf sind von den Mitgliedern meiner Truppe durchaus auch wenig subtil immer wieder mal gekommen. Ich kann es verstehen. Sie ist eine ziemlich toughe Nuss, mit viel Wortwitz und dem Herzen absolut am richtigen Fleck. Nicht meine Worte. Die Worte meiner Mitstreiter:innen. Und auch die haben es in sich. Egal, ob wir vom Vampir Astarion sprechen, Zauberer Gale, der Githyanki Lae’zel oder der Shar-Anhängerin Shadowheart. Und wenn ich jetzt von Karlach zu reden anfange, dann kann ich mit dem Schwärmen überhaupt nicht mehr aufhören. Selten eine liebenswertere Figur kennengelernt als diese. Ein Wahnsinn.

Allerdings nicht von Anfang an. Anfangs war ich ziemlich skeptisch, ob die Figuren wirklich was taugen, denn manche wirken anfangs steif und unnahbar, teils sogar arrogant. Lernt man sie besser kennen und fangen sie an sich zu öffnen, dann kommen absolut hervorragend geschriebene, liebenswerte Persönlichkeiten zum Vorschein, die alle ihr Kreuz zu tragen haben und das auf ihre bestmögliche Art und Weise tun. Und ich möchte keine der Figuren missen.

Das gilt generell für viele, ganz viele Figuren in „Baldur’s Gate III“. Auch wenn sie nur Nebenrollen sind: Sie haben Charakter. Sie haben Ziele. Sie haben klare Persönlichkeitsmerkmale. Und – sie sind alle (ausnahmslos! – bis auf viele Zivilisten in Baldur’s Gate selbst) brillant vertont. Respekt vor Larian („Divinity: Original Sin„), für das, was sie da abgezogen haben. Der Aufwand muss ein Wahnsinn gewesen sein, aber es hat sich bezahlt gemacht. Und das ist eine der großen Stärken des Spiels.

Man merkt einfach die gesamte Zeit über, dass hier jemand ein richtig, richtig gutes Spiel machen wollte mit möglichst viel (man lese: nicht uneingeschränkt, aber so viel wie möglich) Freiheit. Da sind scheinbar Leute beisammen gesessen und haben sich überlegt, was Spieler:innen alles tun und ausprobieren könnten und haben dann Reaktionen darauf geschrieben, vertont und ins Spiel gepackt. Ganz, ganz viele Kleinigkeiten, die man vielleicht nur versucht, weil man wissen will, ob das überhaupt geht – sie funktionieren. Und sie sind noch dazu genauso inszeniert als wären sie Teil einer durchgeplanten Hauptmission. DAS ist in meinen Augen die größte Errungenschaft von Larian Studios. Nichts fühlt sich an als wäre es Beiwerk. Alles was ihr macht – und sei es eine völlig unwichtige Nebensache – wird so inszeniert und behandelt, als wäre es wichtig. Es fühlt sich deshalb auch wichtig an. Hier wird nichts mit einem Satz in einem Textfenster abgehandelt. Hier gibt es mindestens einen Cut auf eine Figur, ein paar (vertonte) Worte und das ganze auf einem derart hohen Niveau, das müssen andere Spiele in Hauptstory-Stränge packen.

Dazu kommt die Erzählerin, die viele eurer Aktionen kommentiert oder beschreibt und auch diese ist perfekt getroffen. Immer nah an der Grenze zum Sarkasmus, aber selten darüber, kommentiert sie alles mit einem gewissen Charme in der Stimme, der immerzu zu sagen scheint „Ja, das hast du gemacht. Aber bist du dir sicher, dass das eine gute Idee war?“. Das hält die Spannung immerzu aufrecht. Und tatsächlich muss ich gestehen, dass nicht immer alles, was ich getan habe, eine gute Idee war. Aber auch das gehört zum Spiel. Mach Dinge, triff Entscheidungen, freu dich über oder lebe mit den Konsequenzen und schau mal, was die Zukunft bringt.

Die Hauptstory ist in drei Akte eingeteilt und die Gebiete sind groß. Auch wenn ich sicher knapp 50% meiner Spielzeit in Baldur’s Gate (der Hauptstadt) verbracht habe, fühlte sich alles wie aus einem Guss an. Und die einzelnen Gebiete haben auch noch weitere Karten in sich, die man – je nach Weg – verpassen oder eben besuchen kann. Und eure Geschichte geht weiter. Für welchen Weg ihr euch auch entscheidet – es ist euer Weg. Mit allen Für und Wider. Und es fühlt sich alles gleichwertig an. Respekt. Riesengroßer Respekt.

Was mir auch wunderbar gefallen hat: Die Quests der Begleiter:innen sind mit der Haupthandlung verbunden und fügen sich nach und nach in die größeren Handlungsbögen ein. Es gibt einen Grund, warum diese Truppe zusammengekommen ist. Und das merkt man auch immer wieder. Auch, dass es (Vorsicht, kleiner Spoiler) keinen „großen Bösen“ gibt, sondern mehrere Missetäter:innen, die einen Plan haben, fand ich super. Auch wenn es gegen Ende natürlich auf einen großen Finalkampf hinausläuft (der super war). Aber alles in allem: Die Story ist großartig. Zu jeder Zeit. Je nachdem welchen Weg ihr wählt wartet auch der eine oder andere Twist auch auf euch – und ein paar davon habe ich echt nicht kommen gesehen.

Das Kampfsystem ist, wie von Larian gewohnt, rundenbasiert und eure Fähigkeiten erweitern sich im Laufe der Zeit. Anfangs ein wenig gewöhnungsbedürftig, ist es später, wenn man sich an die Menge an Möglichkeiten durch Zauber, Angriffe, Scrolls, Tränke und Aktionspunkte, gewöhnt hat – großartig. Die Freiheit, Kämpfe auszutragen wie man es will, hat mich immer wieder umgehauen. Da komme ich aus einem Dungeon in dem ich ein paar Sachen gemacht habe, die einer Horde Goblins scheinbar nicht gefallen hat, und sehe mich einer richtig großen Übermacht gegenüber. Panik meinerseits. Meine Gruppe war erschöpft (da waren ein paar knackige Kämpfe in dem Dungeon) und dann steht da diese riesengroße Gruppe. Aber – nachdenken, umsehen, das Schlachtfeld ansehen, überlegen, welche Zauber und Möglichkeiten ich noch habe – und dann zur Tat: Da stehen vier Goblins mit Bogen auf einem Holzsteg, der nur von einer Säule getragen wird? Säule wegbrennen. Das Ding bricht ein, reißt die vier nach unten und erschlägt noch zwei darunter stehende Gegner. Mein Zauberer schickt einen Eishagel auf eine andere Gruppe, der einerseits Schaden verursacht und noch dazu den Boden rutschig macht. Meine Bardin wirft einen Feuerball (dank eines Scrolls) drauf – nochmals Schaden und das Ding schmilzt noch dazu den Eisboden. Also schickt meine vierte Figur einen Blitz nach und stromt alle, die im geschmolzenen Wasser stehen. Runde Eins vorbei. Es stehen nur noch ein Drittel der Angreifer. Der Rest ist aus dem Spiel.

Großartig ist das.

Optisch ist das Spiel sowieso ein Wahnsinn. So viele Details! Das Art-Design ist ein Hammer, die Musik passt perfekt und apropos: Es gibt einen Bosskampf, bei dem im Hintergrund die Musik anschwillt, ein Chor(!) plötzlich das Geschehen gesanglich kommentiert und als dann auch noch der Gegner mitsingt (mit einer großartigen Stimme!) bin ich völlig platt. Ganz. Großes. Kino. Und das ist ein optionaler(!) Bosskampf gewesen.

Ihr merkt: Ich bin hin und weg. Das erste Spiel seit Jahren, in das ich im ersten Durchlauf knapp 120 Stunden investiert habe und bei welchem ich nach zwei oder drei Wochen Pause, sofort einen weiteren Lauf starten werde. Weil es so gut ist. Weil es so viel Spaß macht. Weil es einfach ein Gefühl auslöst, dass ich bei einem Spiel seit sehr, sehr langer Zeit nicht mehr hatte.

„Baldur’s Gate III“ fühlt sich an wie „Nachhause kommen“. Und das muss man erst einmal schaffen. Danke an Larian Studios. Die mir fast ein wenig leidtun. Denn ehrlich: Das hier, das kann man nicht mehr toppen.

Das heißt nicht, dass das Spiel ohne Fehler ist – ja, sind Bugs. Die Performance ist in Baldur’s Gate spürbar schlechter als in weniger bevölkerten Orten, euer Hauptcharakter gibt in den Gesprächen keinen Ton von sich und die Hauptstory ist nun mal die Hauptstory – ein paar der Ereignisse müssen passieren, also passieren sie auch. Das WIE mag sich ändern, aber das WAS bleibt gleich.

Aber das ist alles jammern auf hohem Niveau – denn hier greifen einfach so viele Rädchen richtig ineinander … das macht einfach richtig, richtig Spaß. Bis zum (per Patch nachgereichten) coolen Epilog. Und denkt dran: Was für die einen ein Happy End ist für die anderen eine Katastrophe.

„Baldur’s Gate III“ bekommt von mir 10 von 10 möglichen, fast alles richtig machende und mich als Spieler zu 100% ernst nehmende, Punkte.


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