Die Tür wird eingetreten und der Sohn wird verhaftet. Die gesamte Familie kommt mit aufs Polizeirevier. Das beinhaltet Vater Eddie (Stephen Graham), Mutter Manda (Christine Tremarco), Schwester Lisa (Amelie Pease) und natürlich den Beschuldigten: Jamie (Owen Cooper).
Die Anklage: Jamie hat eine Mitschülerin ermordet.
Vater Eddie kann es nicht glauben, aber die Beweislast ist erdrückend. Wussten seine Klassenkolleg:innen, was er getan hat? Waren sie mit dabei? Und warum hat er es getan? Und … wie geht die Familie damit um?
Um es gleich mal vorweg zu sagen: Ja. Adolescence ist starker Tobak. Und nein, es basiert nicht auf einer wahren Begebenheit, aber – und das ist Teil des harten Tobaks – es könnte auf einer wahren Begebenheit basieren. Es ist einfach so beinhart realistisch und es wirft eine Menge an Fragen auf. Vielleicht hat mich diese vierteilige Serie, die pro Folge etwa eine Stunde dauert, deshalb so eiskalt erwischt, weil ich vor Ansicht nichts, wirklich NICHTS über die Serie wusste. Weder Thema noch Machart noch sonstwas.
Und gepackt hat sie mich ziemlich rasch.
Anfangs war ich noch irritiert, weil zwar viel passiert, aber alles irgendwie „langsam“ auf mich gewirkt hat. Langsam mit ungewohnten Pausen dazwischen. Ich habe mich gefragt, warum die Kamera erst bei Person A, dann bei Person B und dann bei Person A hängt und dann – dann hat es „klick“ gemacht. Ich hab’s anfangs nicht bemerkt, aber – jede Folge besteht aus einer einzigen Kamerafahrt. Ihr lest richtig: Jede einzelne Folge kommt völlig ohne Schnitt aus. Sie spielen also in Echtzeit. Das ist anfangs ungewohnt, vor allem in der ersten Folge, weil im Polizeirevier doch viel zwischen den Personen denen man folgt getauscht wird, aber relativ schnell hängt man mit drin. Und der wirklich Kicker in der ersten Folge war für mich der Moment in welchem Jamie und seinem Vater ein Video vom Mord vorgespielt wird. Es war also Jamie.
Nein, dachte ich zuerst. Jemand hat die Kleidung mit ihm getauscht oder sowas. Ich war fälschlicherweise der Annahme, dass es sich um eine „Whodoneit“-Serie handelt, also ein Krimi in dem es darum geht, herauszufinden, wer der wahre Mörder ist. Und dann wurde mir klar, dass ich einem Irrtum unterlag. Es ist kein „Wer war es?“, es ist ein: Was lief da und warum tat er es? Jamie ist der Mörder. Punkt. Das ist kein Spoiler, das ist in Folge 1.
In Folge 2 geht es um seine Mitschüler:innen und Instagram und um Emojis, die eigentlich eine Bedeutung haben, die viele von unser Erwachsenen (ich, als BeispielL) nicht verstehen würden und die Polizei hat vieles missverstanden.
Folge 3 war dann der absolute Hammer für mich: Im Grunde zwei Menschen, die sich gegenüberstehen und die einen Dialog abliefern der eine knappe Stunde dauert – und ich habe schon lange kein so spannendes TV mehr gesehen. Das zeigt wieder einmal, dass sich alle CGI-Effekte und Co hinten anstellen müssen und menschliches Drama, gut geschriebene Dialoge bzw. Konflikte zwischen Personen immer interessanter bleiben werden als alle Actionspektakel der Welt.
In der letzten Folge sehen wir, was das alles mit den Eltern und der Schwester von Jamie macht und welche Fragen sie sich stellen. Ich habe gelesen, dass manche diese Folge lang und schlecht fanden, aber ich als Vater von zwei Kinder, die in dieser Welt mit Social Media und Co aufwachsen werden, muss sagen, dass ich nach Ende der Folge über ganz, ganz vieles nachdenken musste.
Klar – es ist nur Fiktion und nichts an dieser Geschichte ist wahr. Aber die Fragen, die sich mir stellten in Bezug auf meine Kinder, über ihren Umgang mit diversen Dingen, meinen Umgang mit diversen Dingen und was das für mich, die Zukunft und die Zukunft meiner Kinder bedeutet.
Von technischer Seite her, eine absolut großartige Errungenschaft: Allein die Kamerafahrten pro Folge mit allem was rundherum passiert sind unglaublich beeindruckend und absoluter Respekt für alle Mitwirkenden, dass sie das durchgezogen haben. Die schauspielerischen Leistungen sind alle ein Wahnsinn mit leichten Abstrichen für Owen Cooper, aber dies seine erste Rolle überhaupt war, kann man da ein Auge zudrücken. Und der Musikeinsatz ist einfach punktgenau getroffen und ein Wahnsinn.
Extra Respekt an Stephen Graham – der nicht nur Vater Eddie spielt, sondern der auch beim Drehbuch mitgeschrieben hat. Kudos. Hammer.
Alles in allem: Nicht leicht anzusehen, weil starker und harter Tobak, aber eine Erfahrung, die viel Gesprächspotential danach bietet. Absolut sehenswert.
„Adolescence“ bekommt 9 von 10 möglichen, technische grandiose und mit Folge 3 auch eine der besten emotionalen TV-Episoden bietende, Punkte.