Gommage. Der Tag oder der Moment, an dem alle, die ein bestimmtes Alter erreicht haben, sich auflösen. Heute, wenn die Sonne versinkt und der Mond aufgeht ist es soweit. Dieses Mal ist auch Gustaves (Charlie Cox) Liebe Sophie dabei. Sie wird sich auflösen. Unaufhaltbar.
Am Tag darauf wird Gustave mit vielen Freiwilligen, die dieses Schicksal nächstes Jahr am gleichen Tag, zum gleichen Moment ereilen wird, zu einer Expedition aufbrechen, um „die Malerin“ – die vermutete Ursache hinter der Gommage – aufzuhalten. Seit der „Fracture“ in welcher Lumiére aus der Welt gerissen wurde und eine kaputte Insel ist anstatt einer einst stolzen Stadt sitzt die Malerin vor einem mächtigen Monolithen, der gemeinsam mit ihr aufgetaucht ist und wartet. Wartet auf den nächsten Tag, an dem sie erwachen und die Zahl, die am Monolithen steht um 1 kleiner machen wird.
Sie muss gestoppt werden. Dazu reist jedes Jahr eine Expedition voller ohnehin todgeweihter Bürger:innen auf den Kontinent, der von Nevron und Gestrals und anderen Wesen bewohnt wird, um die Malerin zu erreichen. Keiner rechnet damit, dass sie zurückkehren, aber es geht darum ein Stück weiter zu kommen als jene vor ihnen, den Weg zu ebnen und sicherzustellen, dass jene, die nachfolgen noch weiter kommen, bis jemand sie erreicht.
Die Zahl am Monolithen zeigt 33. Viele Jahre bleiben nicht mehr …
Ich bin mir nicht sicher, ob es noch sehr viel Sinn hat, über „Clair Obscur: Expedition 33“ zu schreiben, weil es ohnehin der Überraschungshit 2025 ist und es alle, die sich dafür interessieren eh schon gespielt haben.
Für alle unentschlossenen, vielleicht doch ein paar Worte: Das war das erste Spiel seit langem bei dem ich nicht skeptisch war, ob es mir gefallen würde, weil der Trailer, die Welt, die Stimmung die Musik (Die Musik!) genau meinen Nerv getroffen haben. Deshalb habe ich mir das Ding auch am Tag 1 geholt und installiert und habe angefangen.
Der Einstieg war schon mal fein, dann spielt man Gustave und übt ein paar Kämpfe (die ich mit Mühe und Not am leichtesten Schwierigkeitsgrad geschafft habe) und dann geht es in die richtige Welt. Und ich bin kläglich gescheitert. Egal, welches Wesen, egal welche Figur – ich habe die Kämpfe eigentlich immer nur aufgrund von Glück überlebt.
Weil das Kampfsystem per se genial ist, man aber auch viel Übung, ein Auge für Details, ein gutes Gedächtnis und – gute Ohren(!) braucht, um zu das alles zu überstehen. Und kämpfen, nun, das werdet ihr sehr viel, wenn ihr das Spiel hier spielt.
Das Kampfsystem ist einfach zu lernen, aber schwer zu meistern, wie man so schön sagt. Im Grunde ist es rundenbasiert. Jede:r ist einmal am Zug, ihr oder eure Gegner. Und ihr könnte pro Runde für jede Person entweder frei zielen und Echtzeit schießen, was Aktionspunkte aufbraucht. Oder eine Spezialfähigkeit einsetzen – was Aktionspunkte aufbraucht. Oder einfach mit dem Standardangriff angreifen. Was Aktionspunkte besorgt. Klingt einfach für’s erste.
Dann kommen die Gegner an die Reihe und hier gibt es drei Optionen: Ausweichen, parieren oder treffen lassen. Ausweichen hat ein gutes Zeitfenster, dauert aber oft so lange, dass beim wieder an den Kampfplatz treten bereits der nächste Treffer der Gegner sitzt. Parieren ist klar von Vorteil, weil beim erfolgreichen parieren aller Angriffe (alle haben Angriffsmuster, manchen Attacken kommen einmal, manche sind eine Kette aus mehreren Angriffen) führt die Figur, die angegriffen wird einen Konter aus, der meist viel Schaden verursacht und vor allem bekommt man dafür Aktionspunkte gutgeschrieben.
Soweit auch noch einfach.
Dann gibt es Piktos, die man finden oder gewinnen kann und das sind Bonusfähigkeiten, die man ausrüsten kann. Zum Beispiel: Immer als erster einen Angriff starten, oder vom Start weg mehr Aktionspunkte bekommen und so weiter. Wenn ihr ein Pikto ein paar Angriffe lang genutzt habt, dann versteht eure Gruppe, wie es funktioniert und man kann es als Lumina nutzen – das sind Piktos, welche die gesamte Gruppe nutzen kann und nicht nur die Person, die sie ausgerüstet hat. Auch noch einfach, aber schon deutlich komplexer.
Vor allem findet ihr so viele Piktos, dass ihr da wirklich viel verändern könnt, was eure Vorteile im Kampf betrifft. Man muss halt viel lesen und nachdenken, denn: Alle Charaktere funktionieren nach einem ähnlichen, aber doch anderm System: Lune zum Beispiel bekommt für jedes Nutzen einer Fähigkeit ein bestimmtes Element gutgeschrieben. Wenn ihr eine bestimmte Kombination an Elementen habt, dann verstärkt das manche Angriffe so richtig. Oder Sciel, die Sonnen- und Mond-Fähigkeiten verwenden kann, um „Foretells“ auf Gegner zuzuweisen. Wenn man Sonne- UND Mondpunkte hat, dann kippt Sciel in den „Twilight“-State und verteilt mehr Schaden – und noch mehr, wenn eine Gegner viele „Foretell“ auf sich kleben hat.
Ihr merkt. Hier wird es kompliziert. Dabei habe ich anderen Charaktere noch gar nicht erwähnt. Das liest sich jetzt aber alles komplizierter als es ist. Wenn man ein wenig gespielt hat und ein wenig mitdenkt, was wo wie passiert wenn man was macht, dann hat man den Dreh relativ rasch raus. Am Wichtigsten ist ohnehin das Parieren. Ohne dem macht man keinen Meter und es gibt einiges da draußen, was euch mit einem einzigen Schlag aus den Socken haut.
Oh – außerdem gibt es noch Quick-Time-Events bei Angriffen, die ihr schaffen müsst (manchmal ein Knopfdruck, manchmal mehr), um mehrmals anzugreifen und ebenfalls mehr Schaden auszuteilen.
Ihr wisst also jetzt, was ich meine, wenn ich sagen: Einfach zu lernen, schwer zu meistern.
ABER und das ist bewusst in Großbuchstaben: Wenn man den Dreh raus hat, dann macht es so richtig Spaß. Bosse, die man anfangs für unmöglich schaffbar hält haut man später locker aus den Latschen und auch Feinde, die euch höllisch überlegen sind könnt ihr aus den Socken hauen, wenn ihr das Parieren drauf habt. Dauert halt dann länger, aber da macht nichts, denn alles ist einfach großartig animiert und das Design der Figuren und Monster – fantastisch. Einfach fantastisch.
Das gilt übrigens für die ganze Welt. Ich war zu Beginn ein wenig unterwältigt, aber je länger ich gespielt habe, desto besser hat es mir gefallen und desto mehr konnte ich das Art-Design genießen.
Was mir am besten gefallen hat, ist aber klar die melancholische Grundstimmung des Spiels. Es geht nicht darum zu gewinnen, es geht darum so weit wie möglich zu kommen, um den nächsten die Chance zu geben, es zu schaffen. „Tomorrow Comes“, wie es so schön heißt. Oder „For Those who come after“.
Und die Geschichte ist traurig schön, mystisch, geheimnisvoll, irre, tragisch und tatsächlich herrlich kreativ. Am Ende ergibt (wenn ich nichts übersehen habe) alles einen Sinn, auch wenn es am Weg ein paar fette „WTF?!“ gegeben hat. Gerade das Ende von Akt 2 hat mich fast umgehauen. Und das, obwohl das Ende von Akt 1 schon nicht völlig überraschend kam. Wirklich, wirklich gut gemacht und toll erzählt. Hier wird nicht von Story-Beat zu Story-Beat gehetzt, hier wird Emotion vermittelt. Fand ich toll und finde ich toll. Und die Inszenierung ist top! Wirklich top!
Ich mag von der Geschichte hier nichts verraten, denn die muss man – bis zum Ende – selbst erleben und es ist mit Sicherheit eine Geschichte, die ich in dieser Form noch nie gehört, gesehen oder gelesen habe. Respekt, wirklich. Dazu kommt, dass mir die Dialoge und die Figuren richtig gut gefallen haben. Es gibt unheimlich viele kleine Details, die – wenn man die Zusammenhänge erkennt – richtige Aha-Momente auslösen und aber auch Herzschmerz verursachen. Es gibt zB eine Person, die mehrmals betont, dass der Kampf erst vorbei ist, wenn keiner mehr steht. Und dann gibt es eine Szene (ich sage nicht wann, ich sage nicht wo), sich diese hinsetzt. Und ich hatte Tränen in den Augen. Wirklich.
Apropos Tränen: Es ist jetzt eher selten, dass es ein Spiel gibt bei welchem ich schon nach 10 Minuten geheult habe wie ein Schlosshund. Hier war es so. Der Anfang, die Figuren, die Dialoge, das was als Subtext mitschwingt (ich sag nur: „I’m here.“), die Bilder, Farbgebung und die Musik – das ist richtig hohes Niveau.
Sicher, an der Auflösung (oder den Auflösungen) werden sich die Geister scheiden, genauso wie an den möglichen Enden, aber alles in allem: Ein mutiges Spiel, das leicht hätte scheitern können, aber hier machen so viele Sachen richtig „klick“, dass man gerne immer wieder zurückkehrt.
Zwei Mankos: Die Jump-n-Run-Passagen sind hakelig. Ich bin x-mal rein wegen der Steuerung gescheitert. Und es gibt keine Karte, keine Mini-Map für die Areale. Es gibt – später mal – eine für die „Oberwelt“, aber für die tatsächlichen Gebiete gibt es keine. Das fand ich als Person, der sich in seiner Heimatstadt verlaufen kann, eher schlecht. Aber nicht mal das hat das Spiel für mich nach unten gezogen, weil ich einfach diese Welt und die Figuren und … *seufz* … wie könnte ich auf Esquie böse sein? Eben. Geht nicht.
Wie groß war das Team nochmals? Knapp 30 Leute? Respekt, absolut Respekt. Und die Musik – nun, was soll ich sagen? Das ist der vierte OST aus einem Spiel, den ich innerhalb kurzer Zeit gekauft habe („Nier: Automata“, „Baldur’s Gate 3“, „Stellar Blade“ und „Clair Obscur: Expedition 33“, wer’s wissen will).
„Clair Obscur: Expedition 33“ bekommt 10 von 10 möglichen, wenn ihr das beschriebene Kampfsystem oben zu kompliziert findet, dann könnt ihr 4 Punkte abziehen, Punkte.